Ashrawi: "Ein ungerechter Frieden ist schlechter als überhaupt kein Frieden"

Die palästinensische Politikerin Ashra.
Die palästinensische Politikerin Ashra.(c) Stanislav Jenis
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Die palästinensische Politikerin Hanan Ashrawi sieht in der französischen Nahost-Initiative eine Chance und plädiert für ein neues Verhandlungsformat.

Die Presse: Die Nahost-Verhandlungen sind zum Erliegen gekommen. Der Friedensprozess hat international wenig Priorität. Präsident Abbas hat viele Mittel ausgeschöpft. Haben die Palästinenser noch Optionen – oder müssen Sie auf einen günstigeren Zeitpunkt warten?

Hanan Ashrawi: Wir können nicht warten, Israel schafft Fakten. Wir brauchen mehr Anerkennung (von Palästina als Staat, Anm.) durch mehr Staaten. Wir müssen unsere Rolle als Beobachterstaat (bei der UNO) aktiv gestalten. Wir müssen das Rom-Statut und den ICC nutzen, Israel für seine Kriegsverbrechen vor Gericht bringen. Wir brauchen den Schutz unserer Gewässer und des Luftraums, um uns vor Israel zu schützen und internationales Recht für Israel anwendbar zu machen. Ich hoffe, dass wir Vollmitglied der UNO werden.

Glauben Sie, damit eine Lösung des Konflikts zu beschleunigen?

Ich glaube nicht, dass es in naher Zukunft eine Lösung geben wird, obwohl viel von Initiativen gesprochen wird. Die vielversprechendste ist die der Franzosen. Sie wollen eine internationale Konferenz bis Ende des Jahres, und im September wird es ein Treffen der Unterstützergruppe geben. Wir versuchen, einen bindenden Zeitplan zu erreichen. Konkrete Schritte, um die der Besatzung zu beenden, Überwachungsmechanismen, Schiedsmechanismen. Dann hätte man die Elemente für eine Lösung.

Schon die USA sind mit einer Nahost-Initiative gescheitert. Und Israel lehnt die französische Initiative ab.

Das amerikanische Monopol als dritte Partei war der Sache des Friedens nicht förderlich. Sie sind immer auf Seite Israels und rechtfertigen Israels Verhalten. Das Nahost-Quartett ist zu einem nutzlosen Instrument geworden, es macht, was die USA sagen. Wir wollen ein neues internationales Format, und die französische Initiative kann das leisten. Deshalb hoffen wir, dass sie Erfolg haben wird. Derzeit haben wir volle Unterstützung für Israel und Versuche, die Palästinenser unter Druck zu setzen, um einen ungerechten Frieden zu akzeptieren. Aber ein ungerechter Frieden ist schlechter als gar kein Frieden.

Die Regierung Obama stand der israelischen Regierung kritischer gegenüber als viele andere US-Administrationen.

Überhaupt nicht! Die Obama-Regierung hat Israel finanziell und militärisch mehr unterstützt als jede andere US-Regierung in der Geschichte. (Israels Premier) Netanjahu hat Obama beleidigt und die US-Regierung herausgefordert – und ist davongekommen. Obama wurde mit dem Vorwurf, nicht pro-israelisch zu sein, in die Defensive gezwungen, so dass er versucht hat zu beweisen, dass er gut ist für Israel.

Welcher neue US-Präsident wäre besser für Palästina?

Keiner von beiden. Als (Donald) Trump sagte, man müsse neutral sein, wenn man verhandeln wolle, sind sie über ihn hergefallen. Er hat alles widerrufen. Hillary Clinton hat sich in ihrer gesamten Karriere als Außenministerin nicht für die Schaffung von Frieden eingesetzt. Sie sah das nicht als ein Feld, auf dem man gewinnen kann – und sie will immer gewinnen.

Russlands Präsident, Wladimir Putin, will offenbar Nahost-Friedensgespräche veranstalten. Was halten Sie davon?

Das Treffen an sich ist für uns nicht das Problem – aber warum? Mit welchem Ziel? Russland will damit zeigen, dass es ein Akteur in der Region ist. Alle internationalen Schritte aber müssen der Unterstützung der französischen Initiative dienen.

ZUR PERSON

Hanan Ashrawi, 69, ist eine palästinensische Politikerin und Aktivistin. Sie gehörte dem Exekutivkomitee der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO an. Die Christin ist Mitbegründerin der Partei des Dritten Weges. Bei den Friedensgesprächen Anfang der Neunzigerjahre war Ashrawi Sprecherin der palästinensischen Delegation. Das Interview am Rande des Politischen Symposiums beim Europäischen Forum Alpbach wurde gemeinsam mit mehreren anderen Medien geführt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2016)

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