Pekings KP-Führung bewertet die Krisen der EU als Zeichen für den Niedergang des Westens und die eigene Überlegenheit. Entsprechend selbstbewusst wird China beim G20-Gipfel in Hangzhou auftreten.
Griechenland- und Flüchtlingskrise, Brexit und Terrorangst. Während die Europäische Union seit Monaten im Krisenmodus von einem politischen Erdbeben zum nächsten wankt, bleibt am anderen Ende der Welt kein Schritt der EU-Granden unbeobachtet. Zum Teil verständnisvoll, meist aber mit Verwunderung oder einer gewissen Genugtuung verfolgen Chinas Parteimedien die Entwicklungen. „Wo sind die viel propagierten europäischen Werte, wo die Humanität, die Toleranz, die Stärken des demokratischen Systems?“, fragen sie lautstark.
Beispiel gefällig? „Der Brexit offenbart die Mängel westlicher Demokratien. Ist das Ergebnis der Volksabstimmung legitim?“, titelte die parteistaatliche „Volkszeitung“ in einem Kommentar zum EU-Austrittsreferendum des Vereinigten Königreichs. Dass knapp mehr als die Hälfte der Wähler über die andere Hälfte bestimmen könne, sei kaum demokratisch, argumentierte der schreibende KP-Parteisoldat. Die Abstimmung spiegle die öffentliche Meinung nur unzureichend wider. Dass EU-Befürworter ein zweites Referendum forderten und sich Schottland gegen einen EU-Austritt sperrte, zeige: Demokratische Mittel könnten die gesellschaftliche Stabilität gefährden, statt sie zu fördern.
„Europa ist das Zentrum der Museen“
Den „allgemeinen Niedergang“ Europas schwor gar die „Global Times“ herbei, eine für ihre nationalistischen Kommentare berüchtigte Zeitung. Während sich Ostasien rasant entwickelt habe, verkomme Europa zum „weltweiten Zentrum der Museen und Tourismusdestinationen“ und trete auf der Stelle. „Europa kann seine Probleme nicht lösen. Die Öffentlichkeit ist verwirrt und unzufrieden, Extremismus ist im Aufschwung.“
Chinas Parteimedien betrachten die mangelnde Durchsetzungskraft pluralistischer Demokratien als einen Faktor für den von ihnen beschworenen Untergang des Westens, sagt Kristin Shi-Kupfer vom Berliner Merics-Institut für Chinastudien der „Presse“. Es gebe in der EU und in den Mitgliedstaaten zu viele Parteien und Interessen, um zeitgerecht auf Probleme reagieren zu können, laute die Argumentation der KP-Führung in Peking. So bezeichnete die „Jiefang Daily“, das Organ der Kommunistischen Partei in Shanghai, Europas Regierungen als hilflos im Umgang mit Flüchtlingen und Terror. Europa müsse den Jihadisten den Nährboden entziehen. Das gelinge nicht, indem unter dem Banner der Terrorbekämpfung „lächerliche Maßnahmen“ ergriffen würden. Als Beispiel führt das Blatt das Burkiniverbot in französischen Badeorten an. Solche Bestimmungen könnten den Terror nicht bekämpfen. Sie spalteten die Gesellschaft nur noch mehr.
Mit dem Versagen der Mainstreamparteien sei der Aufstieg der Rechten und Populisten kein Wunder, tönt es aus den Propagandasprachrohren. Dass dem aufkeimenden Rassismus immer mehr Mitglieder der sonst eher unsichtbaren chinesischen Community zum Opfer fallen, ist für sie ein weiterer Beweis des europäischen Versagens: So wurde Anfang August bei einem rassistisch motivierten Raub in einem Pariser Vorort ein chinesischer Designer getötet.
Heftige Attacken gegen die USA
Dabei stellen chinesische Parteimedien nicht die EU an sich infrage. Sie nutzen die Krisen vielmehr, um die Fehler des Westens im Allgemeinen aufzuzeigen. Ein Hauptkritikpunkt sei auch die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit westlicher Werte, sagt Shi-Kupfer. China werfe den demokratischen Regierungen, besonders den USA, vor, sich zu sehr in Entwicklungen anderer Länder einzumischen, ihnen mit missionarischem Eifer ihre Wertvorstellungen oktroyieren zu wollen – und damit für noch mehr Chaos und Instabilität zu sorgen. So beschuldigen die Staatsmedien Washington, die Flüchtlingskrise und den Aufstieg der Terrormiliz Islamischer Staat verantwortet zu haben. „Auch Europa wird manchmal als Opfer der fehlgeschlagenen US-Interventionspolitik im Nahen Osten dargestellt“, meint Shi-Kupfer.
„Unser Modell ist effizienter“
Peking selbst nutzt die Turbulenzen, um Kritik am eigenen Land zurückzuweisen: Der Westen solle zuerst vor der eigenen Haustür kehren, heißt es. Zugleich versucht Staatschef Xi Jinping, mit einer Ideologieoffensive international ein neues Chinabild zu verbreiten: „Unser Modell ist effizienter und krisenresistenter als das westliche Politik- und Wirtschaftssystem“, lautet die Botschaft des Einparteienstaats. „Diese Berichterstattung stärkt Chinas Selbstbewusstsein“, sagt Shi-Kupfer.
Die Überzeugung von der eigenen Stärke werde auch beim G20-Gipfel in Hangzhou eine Rolle spielen. Noch sei Chinas offizielle Rhetorik nicht so aggressiv, westlichen Ländern die alleinige Schuld an globalen Krisen zu geben, so die China-Expertin. Doch auf die Gesprächsatmosphäre bei dem Treffen der führenden Industrienationen werde sich die Bestimmtheit Pekings sicher auswirken.
AUF EINEN BLICK
In Hangzhou ist China am Sonntag Gastgeber des G20-Gipfels, zu dem Regierungschefs aus den größten 20 Industrienationen der Welt erwartet werden. Peking will dabei vor allem wirtschaftliche Themen forcieren.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2016)