Wahlfairness, wie Putin sie versteht

Russian President Vladimir Putin speaks during the celebrations for the City Day in Moscow
Russian President Vladimir Putin speaks during the celebrations for the City Day in Moscow(c) REUTERS (SERGEI KARPUKHIN)
  • Drucken

Russlands Behörden versprechen faire Duma-Wahlen am 18.September–und hindern unabhängige Beobachter dennoch massiv an ihrer Arbeit.

Vor fünf Jahren war Grigorij Melkonjanz ein Held der russischen Zivilgesellschaft. Wahlbeobachter wie er hatten dazu beigetragen, Unregelmäßigkeiten bei den Parlamentswahlen aufzudecken. Mit rund 4000 Wahlbeobachtern im ganzen Land, einer Hotline und interaktiven Karte, die Verstöße gegen die Wahlordnung grafisch aufzeigte, und mittels sozialer Medien lieferten Beobachter und Aktivbürger ein erschütterndes Bild vom 4. Dezember 2011. Einen Tag nach der Wahl strömten Menschen in Moskau und St. Petersburg auf die Straßen und machten sich den Slogan von Melkonjanz' Wahlbeobachterorganisation, Golos, zu eigen: „Für faire Wahlen“ skandierten die betrogenen Städter und forderten mit dem Slogan „Gebt dem Volk seine Stimme zurück“ eine Wiederholung der Parlamentswahl.

Für kurze Zeit geriet das Regime von Wladimir Putin, der als Ministerpräsident zwei Monate zuvor erneut Anspruch auf den Kreml erhoben hatte, ins Wanken. Die politische Elite war blamiert, die Kreml-Partei Einiges Russland als „Partei der Diebe und Betrüger“ bloßgestellt. Einiges Russland erhielt knapp unter 50 Prozent der Stimmen – ein schlechtes Resultat für die Putin-Partei. Noch immer viel zu viel, sagten viele.

Fünf Jahre später stehen wieder Wahlen an. Sie wurden von Dezember auf den 18.September vorgezogen. „Das ist die Angst der Behörden“, sagt Melkonjanz, 35 Jahre alt und Vizechef von Golos. Auf keinen Fall dürfe an die Dezember-Schmach erinnert werden. Die Kreml-Partei Einiges Russland ist in der Beliebtheit nicht gestiegen, im Gegenteil: Aktuelle Umfragen geben ihr rund 30 Prozent der Stimmen. Doch im Zusammenspiel mit anderen Systemparteien wird eine Pro-Kreml-Mehrheit möglich sein. Außerdem: Die Macht im Staat ist wieder klar verteilt. Während Präsident Putin fester denn je im Sattel sitzt, sind Melkonjanz und andere Vertreter von Zivilgesellschaft und Opposition eindeutig in der Defensive.

Preisgeld als Problem. Nach dem Protestwinter registrierten die Behörden Golos als „ausländischen Agenten“ nach dem damals neu verabschiedeten Gesetz. Der Grund: Die Organisation hatte 2012 den Sacharow-Preis des norwegischen Helsinki-Komitees erhalten, allerdings das Preisgeld nicht angenommen. Golos klagte erfolgreich. Doch selbst der Sieg vor Gericht nützte nichts. Im Juli dieses Jahres wurde die Organisation behördlich aufgelöst. Im August strahlte der für seine grellen Dokus im Paparazzi-Stil berüchtigte Sender NTV eine Doku aus, die beim Publikum keinen Zweifel lassen sollte, dass es sich bei den Wahlbeobachtern um zweifelhafte Gestalten handelt, die Befehle aus dem Ausland empfangen. Golos hat sich indes mit dem Status Bewegung neu gegründet. Doch wie lang die Organisation auf diese Weise existieren kann, weiß niemand.

Dem „Volkssport“ von 2011, wie der in Deutschland forschende russische Soziologe Mischa Gabowitsch die damalige Bürgeraktivität nennt, haftet heute das Image des Unehrenhaften an. Vor allem in der Provinz überlegen es sich Bürger gut, ob sie wirklich als Wahlbeobachter auftreten sollen. „Viele Beobachter sind enttäuscht“, sagt auch Melkonjanz. „Sie haben keine Lust mehr.“ Die Möglichkeiten der Beobachtung wurden per Gesetz weiter eingeschränkt, die Kontrolle wurde verstärkt: So müssen etwa die Namen der Beobachter vorher bekannt gegeben werden. Überraschungsbesuche, wie sie bei internationalen Beobachtern der OSZE Usus sind, sind ausgeschlossen.

Dabei wird die heurige Duma-Wahl den Bürgern als transparenter Urnengang angepriesen. Die Hälfte der 450 Sitze wird erstmals wieder durch Direktmandate besetzt, 225 Sitze über Parteilisten. Die Einzugshürde wurde von sieben auf fünf Prozent herabgesetzt. In einigen Wahlkreisen, in denen es starke Oppositionskandidaten gibt, könnte tatsächlich noch ein richtiger Wahlkampf stattfinden.

Sonst setzt der Kreml vorrangig auf Signalwirkung: Mit Ella Pamfilowa wurde eine integre Frau als Chefin der Wahlbehörde ZIK bestimmt. Melkonjanz glaubt indes nicht, dass die Nominierung weitverbreitete Phänomene wie die Nutzung sogenannter administrativer Ressourcen durch regierungsnahe Kandidaten und Ergebniskorrekturen in den regionalen Kommissionen verhindern wird. „Die Vertreter in den regionalen Kommissionen sind die gleichen geblieben“, sagt Melkonjanz. „Sie sind eng verbunden mit der regionalen Elite. Mit dieser verbinden sie ihre Zukunft, nicht mit dem ZIK in Moskau.“

18. September

Nächsten Sonntag wird eine neue Staatsduma gewählt, erstmals seit der Krim-Annexion. Die OSZE hat 480 Beobachter „auf das Territorium der Russischen Föderation“ verschickt. „Auf der Krim wird nicht beobachtet“, heißt es auf Anfrage der „Presse am Sonntag“. Der Grund: Russlands Schritt wird international nicht anerkannt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Präsident Putin ist der Champion aller Meinungsumfragen in Russland. Derzeit steht dort unabhängige soziologische Forschung unter Druck.
Außenpolitik

Russland: Wenn Meinungsforscher zu Agenten werden

Zwei Wochen vor den russischen Parlamentswahlen wurde das unabhängige Lewada-Center als "ausländischer Agent" eingestuft, da ihm ausländische Geldannahme vorgeworfen wird. Die Initiative dürfte von Hardlinern kommen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.