Die Rückkehr der jordanischen Muslimbrüder

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Im Wüstenkönigreich Jordanien setzten die Islamisten am Dienstag nach jahrelangem Boykott zum Sprung ins Parlament an. Im Wahlkampf hatten sie sich davor ganz handzahm gegeben. Ein „Wolf im Schafspelz“?

Amman. Der alte Schlachtruf der „Islam ist die Antwort“ war verstummt. „Reform“ lautete nun die Losung der Muslimbruderschaft in Jordanien, genauer ihres politischen Arms, der Islamischen Aktionsfront IAF. Handzahm und demokratiefreundlich gaben sich die Islamisten im Wahlkampf. Sie rückten ihre jordanische Identität und ganz weltliche Probleme des wirtschaftlich angeschlagenen Jordaniens in das Zentrum. Und um alle Zweifel an ihrem Ruck in die Mitte zu zerstreuen, kandidierten unter dem Dach ihrer „Nationalen Allianz für Reformen“ auch Frauen und Christen. Am Dienstag wollten die Islamisten die Ernte einfahren. 2010 und 2013 hatten sie die Parlamentswahlen noch boykottiert. Nun prophezeiten ihnen Umfragen 20 bis 30 der 130 Sitze. Die Ergebnisse standen zu Redaktionsschluss aus.

König Abdullah II. beobachtete die Wahl aus der Ferne, vom UN-Gipfel in New York. Den Monarchen trieb dabei wohl weniger die Frage um, wen die Jordanier wählen würden, sondern ob sie überhaupt abstimmen. Denn im Wüstenkönigreich grassiert eine beispiellose Parlamentsverdrossenheit. Die Abgeordnetenkammer halten viele Landsleute für eine bedeutungslose Ansammlung korrupter Ja-Sager. Hussein II. antwortet auf diese Vorbehalte immer auch mit Nachjustierungen des Wahlsystems, diesmal hat er gar von einem „Meilenstein in unserem Reformprozess“ gesprochen. Das „Ein-Stimmen-System“ hatte königstreue Stammesangehörige über die Maße begünstigt. Nun wurde es zugunsten eines Verhältniswahlrechts abgeschafft, das die Parteien stärken soll.

Die Stämme bilden weiter das Rückgrat des Haschemitischen Königreichs, aus ihren Reihen rekrutieren sich Staatsdiener, das gewichtige Militär und der allmächtige Geheimdienst. Auch unter dem neuen Wahlrecht könnten Stammesvertreter und Geschäftsleute die Parlamentsmehrheit stellen. Zumal Amman in Mandaten unterrepräsentiert bleibt. In der Hauptstadt leben viele Jordanier palästinensischer Herkunft, die zur Muslimbruderschaft tendieren – auch, weil die Islamisten als Wohlfahrtsorganisation in ärmeren Vierteln punkten. Daraus schöpfen sie ihre hohe Mobilisierungskraft.

Streng islamistische Agenda

In den Fünfzigerjahren war die Muslimbruderschaft aus Ägypten in das jordanische Exil geflohen. Nach der ersten freien Parlamentswahl 1989 stellte sie mehrere Minister. Damals versuchte sie, ein generelles Alkoholverbot und die Trennung von Frauen und Männern an Universitäten durchzusetzen. Vielen religiös moderaten Jordaniern ging das zu weit. König Hussein trieb die Islamisten mit dem nun abgeschafften „Ein-Stimmen-System“ in die Enge. Das Chaos in der Region im Gefolge des Arabischen Frühlings, die Angst vor IS-Terror schürte weiter das Misstrauen gegenüber den Islamisten. Abdullah II. nannte die Bewegung einen „Wolf im Schafspelz“. Im April war das Verhältnis auf dem Tiefpunkt: Die Sicherheitskräfte schlossen das Hauptquartier eines Flügels der Muslimbrüder. Zugleich rieben Flügelkämpfe die Bewegung von innen auf. Die Bruderschaft zersplitterte. Bei der Wahl traten nun die staatlich anerkannte Muslimbruder-Gesellschaft an und die IAF. Sie verkörpert die alte Muslimbruderschaft.

Ein Aufstieg der Islamisten könnte nun weiter Unruhe in Jordanien stiften, dem Stabilitätsanker in einer von Krieg und Terror geschundenen Region. 1,4 Millionen Syrer flüchteten sich in das Königreich, das schon davor an Infrastrukturschwäche und akuter Ressourcenarmut krankte. Nun schwächelt auch noch der Tourismus. Die Arbeitslosigkeit soll inoffiziell bei 30 Prozent liegen. Der IWF stützte das überlastete Königreich nun mit 723 Millionen Dollar. (red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2016)

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