Im letzten Moment hat der Parteichef die SPD von Ceta überzeugt. Jetzt wird er wohl ihr Kanzlerkandidat.
Berlin. Es hat sehr schlecht ausgesehen für Sigmar Gabriel, am Beginn dieses Monats. Dass die SPD Mecklenburg-Vorpommern und Berlin wird halten können, war keineswegs sicher. Und dann sollte ein Parteikonvent am 19. September, dem Tag nach der Berlin-Wahl, auch noch über Ceta, das Freihandelsabkommen zwischen Kanada und der EU, abstimmen, für das sich Gabriel vehement eingesetzt hatte.
Schon davor vertrug sich seine Rolle als Wirtschaftsminister in einer Koalition mit der marktfreundlichen CDU äußerst schlecht mit der Rolle als SPD-Chef, aber bei Ceta drohte ihm seine Partei nun die Gefolgschaft zu verweigern.
Doch Gabriel hat diese Schicksalswochen gut überstanden, zunächst mit Glück. Bei den Wahlen kam ihm zugute, dass die CDU noch schlechter abschnitt als die SPD (obwohl sie insgesamt weniger Stimmen verlor). Alle redeten plötzlich über Angela Merkel, niemand mehr über Sigmar Gabriel. Und dann entschied sich die SPD auch noch für Ceta, überraschend klar, mit Zweidrittelmehrheit.
Das war allerdings kein Glück, sondern taktisches Geschick. Schon vor dem Konvent am Montag in Wolfsburg hat Gabriel mit den Spitzen der Parteilinken einen Kompromiss ausgehandelt, mit dem die Mehrheit der Ceta-Kritiker in der SPD leben kann: Teile des Abkommens sollen nur dann in Kraft treten, wenn zumindest das EU-Parlament zugestimmt hat. Und ergänzend zum – bereits ausverhandelten – Vertrag soll es rechtsverbindliche Klarstellungen geben, vor allem in den Bereichen Arbeitnehmerrechte und Investitionsschutz.
Noch schnell nach Kanada
Es wird nicht leicht werden, alle Seiten zufriedenzustellen, aber Gabriel hatte keine andere Wahl. Diese Abstimmung über Ceta war in Wahrheit auch eine über den Parteichef. Hätte die SPD den Handelspakt mit Kanada abgelehnt, wäre Gabriels Autorität irreparabel beschädigt gewesen. Auch wenn er das nie zugeben wollte.
Wie ernst die Lage war, zeigt auch, dass er vergangene Woche erneut nach Kanada reiste, um Regierungschef Justin Trudeau noch das eine oder andere Zugeständnis abzuringen. Gabriel wollte Ceta unbedingt. Und er wollte zeigen, dass er in der Lage ist, seine Partei davon zu überzeugen.
Viele Parteifreunde waren bis zuletzt skeptisch gewesen, die Landesverbände in Bayern und Bremen, die Berliner Stadtpartei, die Jusos und nicht zuletzt der linke Flügel. Erschwerend kamen die Demos gegen Ceta und das EU/USA-Abkommen TTIP am Samstag in sieben deutschen Städten hinzu. In Gabriels Umfeld befürchtete man, dass die Stimmung in der SPD so kurz vor der Abstimmung noch kippen könnte.
Deshalb forderte er Hilfe aus Kanada an. Handelsministerin Chrystia Freeland wurde am Montag in Wolfsburg eingeflogen, um den einen oder anderen Zweifler noch umzustimmen. Der Tenor ihrer Rede: Es gehe darum, neue Regeln für den Welthandel zu schaffen, ehe es andere tun, zum Beispiel China. Dem Vernehmen nach – die Veranstaltung war nicht öffentlich – soll sie dabei sehr überzeugend gewesen sein.
Am Abend nach der Abstimmung, in einem ARD-Interview, war dem Parteichef die Erleichterung anzumerken. Die SPD und Gabriel: Das war nicht immer eine harmonische Beziehung. Beim Bundesparteitag im vergangenen Dezember war er nur mit 74,3 Prozent im Amt bestätigt worden.
Der September dürfte seine Kritiker aber milde gestimmt haben. Gabriel habe „nicht nur seinen Führungsanspruch unter Beweis gestellt, sondern auch seine Führungsfähigkeit“, sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, der neben dem Hamburger Bürgermeister, Olaf Scholz, schon als nächster Parteichef gehandelt worden war, am Montagabend. Mit anderen Worten: Gabriels Wunsch, bei der Bundestagswahl in einem Jahr Kanzlerkandidat der SPD zu werden, dürfte nun in Erfüllung gehen.
AUF EINEN BLICK
Bei einem Parteikonvent am Montag in Wolfsburg hat die SPD über Ceta, das Freihandelsabkommen zwischen Kanada und der EU, abgestimmt. Parteichef Sigmar Gabriel hatte als Wirtschaftsminister intensiv dafür geworben. Wie viele der 228 Delegierten ihre Hand für Ceta gehoben haben, ist offengeblieben. Die SPD verzichtete auf eine genaue Zählung. „Mindestens zwei Drittel“, hieß es nur. Dieses Votum erlaubt Gabriel, in Brüssel für Ceta zu stimmen. Allerdings mit Auflagen: Er muss dafür sorgen, dass Teile des Pakts nur dann in Kraft treten, wenn auch das EU-Parlament zugestimmt hat. Und ergänzend zum Vertrag soll es rechtsverbindliche Klarstellungen geben, etwa in den Bereichen Arbeitnehmer- und Investitionsschutz.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2016)