Labour-Chef Corbyn führt weiter nach links

(c) REUTERS (PETER NICHOLLS)
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Die britische Labour Party bestätigte am Samstag ihren prononciert linken Chef, Jeremy Corbyn, mit noch größerer Zustimmung. Innerhalb der Partei gibt es fast schon sowjetische Tendenzen.

Die britische Labour Party hat am Samstag erwartungsgemäß ihren Parteichef, Jeremy Corbyn, im Amt bestätigt. Der Vertreter eines dezidiert linksideologischen Kurses erhielt bei einer Mitgliederabstimmung 61,8 Prozent der Stimmen, sein Herausforderer, Owen Smith, 32,8. In seiner Dankesrede rief Corbyn vor Beginn des Labour-Parteitags in Liverpool zu Geschlossenheit auf: „Lasst uns reinen Tisch machen und an die Arbeit gehen.“

Der Wiederwahl waren heftige interne Auseinandersetzungen vorangegangen. Nach der Brexit-Entscheidung der Briten im Sommer war es in der Parlamentsfraktion von Labour zur offenen Rebellion gegen Corbyn gekommen, dem seine Abgeordnetenkollegen mangelnden Einsatz für den Verbleib des Landes in der EU vorwarfen. Obwohl ihm die Fraktion Ende Juni mit 172:40 das Misstrauen aussprach und er nicht mehr in der Lage war, das in Großbritannien traditionelle Schattenkabinett zu bilden, lehnte er einen Rücktritt mit dem Hinweis ab, dass er sein Mandat von der Basis habe. Sie hatte ihn September 2015 mit 59,5 Prozent erstmals zum Parteichef gewählt.

War dieses Ergebnis für britische Verhältnisse bereits ein Erdrutschsieg gewesen, konnte sich Corbyn nun noch einmal verbessern. Positionen wie ein Eintreten für die Wiederverstaatlichung der Eisenbahnen, höhere Sozialausgaben, verstärkte staatliche Investitionen und den Schutz des öffentlichen Gesundheitswesens sprechen der Partei aus der Seele: „Die Zeit ist gekommen, die Konservativen als das zu entlarven, was sie sind“, sagte Corbyn in seiner Rede.

Premierministerin unbekümmert. Premierministerin Theresa May kann der Herausforderung durch Corbyn bisher aber gelassen entgegensehen. In öffentlichen Debatten wirkt der 67-Jährige unbeholfen. Wichtiger: Seine Positionen mögen der Basis von Labour gefallen, doch die Mittelklasse wendet sich entsetzt ab. In Meinungsumfragen liegen Mays Konservative bis zu 14 Punkte vor Labour. Die geplante Wahlkreisänderung für die nächste Parlamentswahl machte die Aufgabe der Opposition noch schwieriger. Das Magazin „Economist“ warnt bereits vor einem „britischen Einparteienstaat“.

Die Befürchtungen um die Unwählbarkeit Corbyns außerhalb seiner Fußtruppen, den sogenannten Corbynistas, wurden mit seiner Wiederwahl aber nicht ausgeräumt. Trotz Einigungsappellen wird es ihm weiter schwerfallen, die Parlamentsfraktion auf seine Seite zu bringen. Zwar ließen zuletzt zahlreiche Rebellen erkennen, dass sie den offenen Konflikt hinter sich lassen wollen. Zur offenen Unterstützung und Zusammenarbeit mit Corbyn waren die meisten aber nicht bereit.

Steht Säuberung bevor? Labour ging zerstritten und ohne Einigung in der Frage, wer den engsten Führungskreis bestimmt, in den Parteitag. Zudem forderten Corbynistas eine Abberufung „illoyaler“ Abgeordneter durch die Basis nach Vorbild der Formel der sowjetischen Oktoberrevolution: „Alle Macht den Räten.“ Das Auftauchen einer Liste mit Namen von Abgeordneten, die sich kritisch geäußert hatten, stärkte die Sorge der Dissidenten vor einer kommenden Säuberungswelle noch weiter.

Bezeichnenderweise erwähnte Corbyn den Brexit in seiner Rede nur ein einziges Mal und sprach von einer „historischen Herausforderung“. Dafür rief er für nächsten Samstag zu einer Protestdemo für „integrative Erziehung“ auf. Corbyn, der zeit seines Lebens ein Rebell gegen seine Parteiführung war, setzt auch als Parteichef auf Kundgebungen und Basisdemokratie. Antworten auf die Fragen der Zukunft ist er hingegen schuldig geblieben.

Der Ideologe

Jeremy Corbyn (*1949, Grafschaft Wiltshire) war als Sohn eines Ingenieurs und einer Lehrerin, beide erklärte Linke, früh gewerkschaftlich tätig. 1974 wurde er Labour-Stadtrat in einem Londoner Bezirk, kam 1983 ins Unterhaus und löste 2015 Ed Miliband als Labour-Chef ab. Corbyn gilt als klassischer Linker der 1980er-Jahre, Träumer und nennt sich Pazifist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2016)

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