Visumfreiheit braucht länger Zeit

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Symbolbild ReisendeAPA/dpa/Marius Becker
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Laut Brüssel ist die Türkei noch immer nicht reif für Visumliberalisierung.

Brüssel. 600 Millionen Euro statt Visumfreiheit – so lautete, überspitzt formuliert, die am gestrigen Mittwoch präsentierte Zwischenbilanz der Beziehungen zwischen der Türkei und der EU im Kontext der Flüchtlingskrise. Der für die Materie zuständige EU-Kommissar, Dimitris Avramopoulos, hat die Überweisung einer weiteren Tranche Hilfsgelder in der Höhe von 600 Mio. Euro angekündigt – die Mittel sind hauptsächlich für Bildungsmöglichkeiten und medizinische Versorgung für Flüchtlinge aus Syrien in der Türkei vorgesehen. Damit hat die EU bereits rund 2,2 Milliarden Euro für Syrer in der Türkei zur Verfügung gestellt.

Die finanzielle Unterstützung ist Teil eines Deals, den Brüssel und Ankara im März fixiert haben – es geht primär darum, dass die Türkei Flüchtlinge und Migranten davon abhält, nach Griechenland und Bulgarien zu gelangen. Der aus türkischer Perspektive wichtigste Teil der Abmachung ist die Gewährung der Visumfreiheit für türkische Staatsbürger, die nach Europa reisen wollen. Nach Ankaras offizieller Lesart muss die EU dieses Versprechen spätestens im Oktober erfüllen.

Gut Ding braucht Weile

Danach sieht es allerdings nicht aus, denn gemäß EU-Kommission hat die Türkei noch sieben von insgesamt 72 Bedingungen für die Visumliberalisierung nicht erfüllt – neben technischen Details wie der Umstellung auf biometrische Reisepässe sind auch schwere Brocken wie die Anpassung der türkischen Antiterrorgesetze an europäische Standards dabei. Nach Schätzungen der Brüsseler Behörde wird die Umsetzung von zwei Bedingungen (sie wurden gestern nicht genannt) noch längere Zeit in Anspruch nehmen, man habe Ankara ersucht, alle Punkte möglichst rasch in Angriff zu nehmen. Aus EU-Sicht gibt es in der Frage Visumliberalisierung keinen politischen Spielraum.

Sollte das Abkommen mit der Türkei scheitern und die Flüchtlingswelle wieder anrollen, will man jedenfalls vorbereitet sein. Bereits am 6. Oktober soll die Gründung des EU-Grenzschutzes abgeschlossen sein, die Einsatzbereitschaft der neuen Agentur ist für Jahresende avisiert. Bereits im Oktober soll der bulgarische Grenzschutz mit 200 Mann aus den restlichen Mitgliedstaaten verstärkt werden.

Bei einem anderen Teil des Abkommens, der Übernahme syrischer Flüchtlinge aus der Türkei, ist das Tempo spürbar langsamer: Bis dato hat die EU der Türkei insgesamt 1614 Syrer abgenommen. Im Gegenzug schickte Griechenland 578 irreguläre Migranten wieder in die Türkei zurück. Dass bis dato kein einziger Asylwerber die Rückfahrt über die Ägäis antreten musste, hängt damit zusammen, dass griechische Behörden und Gerichte dies bis dato nicht zugelassen haben.

Bis zur Vereinbarung des Abkommens am 21. März kamen im Schnitt 1740 Flüchtlinge und Migranten pro Tag in Griechenland an. Seither waren es durchschnittlich 94 pro Tag. (la)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2016)

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