Buhrufe gegen Merkel und Gauck

Tillich, Chancellor Merkel, President Gauck, Lammert and Vosskuhle arrive for elebrations marking German Unification Day in Dresden
Tillich, Chancellor Merkel, President Gauck, Lammert and Vosskuhle arrive for elebrations marking German Unification Day in Dresden(c) REUTERS (FABRIZIO BENSCH)
  • Drucken

Rechtspopulisten überzogen die Spitzen der Republik mit Schmährufen. Bundestagspräsident Lammert las ihnen die Leviten.

Wien/Dresden. Der Protest der Rechtspopulisten bei den Montagsdemos in Dresden hatte sich ja eher schon verlaufen: Gerade einmal 2500 Menschen waren in der Innenstadt zwischen Semperoper und Frauenkirche zuletzt zusammengeströmt, wo es am Höhepunkt im Jänner 2015 zehnmal so viele waren. Dass sich die Pegida, die Bewegung der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands“, neuerlich gespalten hat, dass Lutz Bachmann, der umstrittene Pegida-Gründer, sich nach Teneriffa abgesetzt hat, und dass die AfD um ihre Galionsfigur Frauke Petry die Wutbürger in die Arme geschlossen hat, trug wesentlich zur Atomisierung der Pegida bei.

Der Zufall wollte es, dass der Tag der Deutschen Einheit just auf einen Montag fiel und dass Dresden turnusmäßig an der Reihe war, das Fest auszurichten. Für Bachmann und Konsorten bot sich so die Chance, ihren Unmut gegen die Regierung und die Eliten lautstark und publikumswirksam zu artikulieren. Verbal aufmunitioniert, mit Hetzparolen auf Plakaten und Trillerpfeifen hatten Hunderte Anhänger den Empfang für die Ehrengäste der Einheitsfeier in der sächsischen Hauptstadt zu einem Spießrutenlauf umfunktioniert: „Merkel muss weg“, „Haut ab“, „Volksverräter“.

Scharfe Kontraste

Nach Brandanschlägen auf eine Moschee, ein Kongresszentrum und Polizeiautos sowie Pöbeleien gegen FDP-Bürgermeister Dirk Hilbert hatte sich die Stimmung aufgeladen. Dresden war zerniert. Auf dem Theaterplatz vor der Semperoper musizierten Stars wie Wolfgang Niedeken oder Chris de Burgh, während linke und rechte Demonstranten in den Straßen von „Elbflorenz“ aufmarschierten.

„Ausgemerkelt“ und „ausgegauckt“ versus „Brücken bauen“ und „Dresden tanzt“: Der Kontrast zwischen den Slogans der Rechtspopulisten und dem Motto des Bürgerfests hätte größer nicht sein können. Dresden war zweigeteilt. „Beschämt erleben wir, dass Worte die Lunte legen für Hass und Gewalt“, mahnte Stanislaw Tillich, als Sachsens Ministerpräsident Gastgeber der Feier.
Bei einem ökumenischen Gottesdienst in der Frauenkirche und dem Festakt in der Semperoper – den Inbegriffen des Dresdner Bürgerstolzes – zeigten die Spitzen der Republik und die Zivilgesellschaft Flagge. 26 Jahre nach der Wiedervereinigung erklärte die Kanzlerin, der 3. Oktober sei für die allermeisten Deutschen ein „Tag der Freude und Dankbarkeit“. In der aufgewühlten Debatte in der Flüchtlingspolitik appellierte Merkel indes, einander Respekt zu bezeugen.

Als Festtagsredner las Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), ein geschliffener Rhetoriker, den Störefrieden die Leviten. Jene, die „besonders laut pfeifen und schreien, haben offenkundig das geringste Erinnerungsvermögen daran, in welcher Verfassung sich diese Stadt und dieses Land befanden, bevor die Vereinigung möglich wurde“. Er forderte die Deutschen zu mehr Optimismus und Selbstbewusstsein auf. „Das Paradies auf Erden ist hier nicht. Aber viele Menschen, die es verzweifelt suchen, vermuten es nirgendwo häufiger als in Deutschland. Wir leben in Verhältnissen, um die uns fast die ganze Welt beneidet.“

Lammert, gleichsam ein ewiger Kandidat, betonte solcherart erneut seine Qualifikation für die Nachfolge Joachim Gaucks als Bundespräsident, die im Februar im Bundestag ansteht und längst die Gerüchtebörse in Berlin beschäftigt. Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts und weiterer Anwärter, war ebenfalls zum Festakt nach Dresden gekommen.
Auf der Suche nach einer möglichst breiten Mehrheit sind derweil die Chancen für Navid Kermani, den iranischstämmigen Intellektuellen und Kandidaten von Rot-Rot-Grün, geschwunden. Indessen macht sich die SPD für den populären Außenminister Frank-Walter Steinmeier stark.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.