Trumps ultimativer Untergriff

Republican presidential nominee Donald Trump appears at the 'Retired American Warriors' conference during a campaign stop in Herndon
Republican presidential nominee Donald Trump appears at the 'Retired American Warriors' conference during a campaign stop in HerndonREUTERS
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In einer Tonaufnahme prahlt der Präsidentschaftskandidat damit, Frauen sexuell zu nötigen.

Drei Minuten und fünf Sekunden ist das Video lang, welches dem „Washington Post“-Reporter David Fahrenthold am Freitagvormittag gegen elf Uhr zugespielt wurde. Es beginnt mit der Aufnahme eines Autobusses, der langsam durch das Studiogelände von NBC Universal rollt. Zu hören sind die Stimmen zweier Passagiere. Die eine ist jene von Billy Bush, eines Cousins des früheren US-Präsidenten George W. Bush, der die Klatschsendung „Access Hollywood“ moderiert. Die andere ist jene seines Stargasts Donald Trump. Bush und Trump sind auf dem Weg zur Aufzeichnung einer Folge der Seifenoper „Days of Our Lives“, in welcher Trump einen Gastauftritt haben wird, über welchen Bush für seine Sendung berichtet. Die beiden Herren sind entspannt, und weil ständig Material für Bushs Bericht zu sammeln ist, tragen sie Ansteckmikrofone.

Und so bekommt die Welt diese Worte Trumps zu hören: „Wenn du ein Star bist, lassen sie dich alles machen. Du kannst alles machen. Greif ihnen an die Möse. Du kannst alles machen.“ An dieser Stelle hält der Bus und Trump wird der Schauspielerin Arianne Zucker ansichtig, einer Darstellerin der Serie. „Dein Mädel ist verdammt heiß“, gibt sich Bush beeindruckt von Zuckers Anblick. „Wow!“, entfährt es Trump. „Ich muss ein paar Tic Tacs nehmen, nur für den Fall, dass ich anfange, sie zu küssen. Weißt du, ich bin automatisch von attraktiven Frauen angezogen. Ich fange einfach an, sie zu küssen. Es ist wie ein Magnet. Einfach küssen. Ich warte nicht einmal.“

Wie unbekümmert er zur Sache geht, wenn ihm eine Frau gefällt, erzählt er Bush gleich zu Beginn dieser Aufnahme vom September 2005 – einem Zeitpunkt, an dem Trump gerade acht Monate mit dem slowenischen Mannequin Melania Knauss verheiratet war, die mindestens im dritten Monat schwanger war. Er habe einmal versucht, die Miss-USA-Moderatorin Nancy O'Dell zu verführen. „Ich habe versucht, sie zu ficken. Sie war verheiratet. Und ich bin gescheitert. Dabei bin ich sie richtig hart angegangen. Ich bin mit ihr Möbel kaufen gegangen. Ich habe ihr gesagt: ,Ich zeig dir, wo sie richtig feine Möbel haben.‘ Und jetzt hat sie plötzlich große falsche Titten und alles.“ Dann steigen Bush und Trump aus dem Bus, begrüßen Arianne Zucker per Küsschen und machen sich auf den Weg ins Studio.

Die Veröffentlichung dieser Aufnahmen hätte für Trump zu kaum einem unangenehmeren Zeitpunkt passieren können. Heute, Sonntag, findet in St. Louis das zweite der drei Rededuelle mit seiner demokratischen Konkurrentin Hillary Clinton statt. Sie hatte Trump sich in der ersten Fernsehkonfrontation vor einer Woche ziemlich souverän in einige Wirbel reden lassen. Clintons zuletzt absackende Umfragewerte erholten sich seither.


Steuern, Stiftung, Kreml.
Eine Reihe weiterer für Trump peinlicher Enthüllungen folgte. So legte die „New York Times“ offen, dass Trump im Jahr 1995 einen Verlust von mehr als 900 Millionen Dollar an die Finanz gemeldet hatte (das wären nach heutigem Wert rund 1,44 Milliarden Dollar, also 1,3 Milliarden Euro) und diesen Verlustvortrag vermutlich dafür genutzt hat, 18 Jahre lang keine Bundeseinkommensteuer zu zahlen.

Dann gab die Justizbehörde von New York bekannt, dass Trumps Privatstiftung bis auf Weiteres keine Spenden mehr sammeln darf, weil Trump die dafür nötigen Genehmigungen nie eingeholt hat. Und am Freitag berichtete das Magazin „Politico“, dass der frühere US-Botschafter in Bonn, Richard Burt, ein bezahlter Lobbyist des höchst kontroversiellen, vom Kreml betriebenen Pipelineprojekts Nord Stream II, Trumps lang erwartete erste außenpolitische Rede mitgeschrieben hatte – jene Rede, in der Trump im Frühling erklärt hatte, die USA sollten mit Wladimir Putin das Einvernehmen suchen.

All dies versuchten Trump und sein Vizekandidat, Mike Pence, der Gouverneur von Indiana, als Hetzkampagne des Establishments abzutun. Doch die Aufnahmen von Trumps Busfahrt in die Universal Studios sind unleugbar der bisher schwerste Schlag für Trump. Mehr als 100 republikanische Kongressabgeordnete, Senatoren und sonstige Funktionäre der Partei distanzierten sich bis Samstag von Trump. Pence, ein äußerst konservativer evangelikaler Christ, sei außer sich gewesen, als er die Aufnahme gesehen habe, berichtete die Associated Press. Paul Ryan, Sprecher des US-Abgeordnetenhauses und derzeit der ranghöchste gewählte Republikaner, lud Trump von einer Veranstaltung in Wisconsin aus.


Immer mehr Opfer melden sich.
Und es bleibt nicht bei diesem einen peinlichen Film. Immer mehr Frauen melden sich nun mit Berichten über sexuelle Übergriffe von Trump zu Wort. Jill Harth zum Beispiel, eine Eventmanagerin, die 1992 mit Trump ins Geschäft zu kommen hoffte. Gleich beim ersten Treffen mit ihr und ihrem Lebensgefährten habe Trump ihr unter den Rock und ans Geschlecht gegriffen. Ein Jahr später lud Trump die beiden in seinen Club Mar-A-Lago ein. Im dortigen Zimmer seiner damals zwölfjährigen Tochter Ivanka versuchte er, Harth ins Bett zu zerren. Bei späteren Übergriffen Trumps habe sie derart Angst gehabt, von diesem Mann vergewaltigt zu werden, der doppelt so schwer war wie sie, dass sie ihn abwehrte, indem sie sich übergab.

Trump gab in der Nacht auf Samstag per Videobotschaft eine halbherzige Entschuldigung ab. Dann versuchte er, die Aufmerksamkeit von seinen Übergriffen abzulenken, indem er den Altpräsidenten Bill Clinton beschuldigte, noch viel schlimmere Dinge mit jungen Frauen gemacht zu haben.

Trumps Schlüsselberater für die Debatte am Sonntag ist übrigens Roger Ailes, der Gründer des rechtspopulistischen Fernsehsenders Fox News. Ailes musste neulich seinen Fox-Chefposten räumen, nachdem gut ein Dutzend Frauen ihn wegen sexueller Übergriffe beschuldigt hatten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2016)

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