Mossul: Der riskante Sturm auf eine Millionenstadt

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TOPSHOT-IRAQ-CONFLICT(c) APA/AFP/AHMAD AL-RUBAYE
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In Nordiraks Metropole Mossul begann die Entscheidungsschlacht. Die Offensive könnte eine Flüchtlingswelle und neue ethnische Spannungen auslösen.

Die Weltöffentlichkeit war perplex, als im Juni 2014 Milizen des sogenannten Islamischen Staats (IS) die Zweimillionen-Einwohner-Stadt Mossul im Norden des Irak handstreichartig und de facto ohne Gegenwehr einnahmen. Von der Kanzel der Großen Moschee aus proklamierte IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi sein „Kalifat“. Mehr als zwei Jahre später läutete Iraks Premier Haider al-Abadi in der Nacht auf Montag mit einer Ansprache im Staatsfernsehen die Großoffensive zur Rückeroberung der Metropole ein. „Wir werden sehr bald unter euch sein, um die irakische Flagge zu hissen“, sagte er zu den Bürgern von Mossul.

1. Warum hat es so lang gedauert, bis die Rückeroberung Mossuls beginnt?

Brigadier Walter Feichtinger von der österreichischen Landesverteidigungsakademie erklärt es so: Die USA mussten die irakische Armee, die 2014 unter dem Ansturm des IS zerfallen war, zunächst wieder neu aufbauen und trainieren. Die sunnitische Mehrheit Mossuls hatte die Jihadisten zunächst noch als Befreier von der schiitisch dominierten Zentralregierung in Bagdad begrüßt. Deshalb reichten auch 4500 Kämpfer, um die Stadt bis heute zu kontrollieren. Inzwischen hat sich die Stimmung gedreht: Die verbliebene Bevölkerung (1,5 Millionen) stöhnt unter den Auswirkungen des IS-Terrorregimes: den Zwangssteuern, der rigorosen Durchsetzung der Scharia und den öffentlichen Exekutionen. Viel Zeit in Anspruch nahm vor allem die politische Vorbereitung der Offensive. Die bunte, untereinander rivalisierende Koalition eint der gemeinsame Feind IS, sonst nichts.

2. Wer ist an der Offensive beteiligt?

Kurdische Peshmerga-Milizen sind vom Osten her vorgestoßen und haben mehrere Dörfer im Umland Mossuls unter ihre Kontrolle gebracht. Sie sollen den Nachschub für die IS-Kämpfer unterbinden, nicht aber ins Zentrum vorrücken. Diese Aufgabe ist laut Schlachtplan Spezialeinheiten der irakischen Armee vorbehalten. Lokale sunnitische Milizen sollen sie demnach unterstützen. Ob auch die vom Iran aufgerüsteten schiitischen Milizen, wie vereinbart, vor den Toren Mossuls haltmachen, ist ungewiss, aber eine Schicksalsfrage für den ethnisch zerrissenen Irak. Aktiv mitwirken will bei der Militäroperation auch die Türkei, die 2000 Soldaten im Nordirak stationiert hat. Bagdad lehnt dies jedoch ab. Aus der Luft sollen westliche Alliierte angreifen. Unter den US-Spezialkräften auf dem Boden sind zudem nicht nur Trainer.

3. Ist dies der Anfang vom Ende des IS?

Die Jihadisten gruben Tunnelsysteme und legten Sprengfallen in Mossul. Möglicherweise verfügen sie auch über Giftgas. Es kann Monate dauern, bis der Häuserkampf entschieden ist. Die IS-Herrschaft kann aber auch schnell zusammenbrechen, weil die Kampfmoral bereits angeschlagen ist. Zuletzt schrumpfte das „Kalifat“. Die Jihadisten haben seit 2015 ein Drittel ihres Territoriums verloren und mussten aus irakischen Städten wie Falluja, Tikrit oder Ramadi weichen. Auch in Syrien steht der IS unter Druck. Noch heuer könnte die Hochburg Raqqa fallen. Der Miliz bleibt nach Niederlagen auf dem Schlachtfeld indes immer noch die Option, abzutauchen und sich im Untergrund neu zu formieren.

4. Wird es zu einem Aufstand in Mossul kommen?

Vor der Militäroffensive warfen die Alliierten Flugblätter ab. Darin rieten sie den Bürgen nicht nur, in ihren Häusern zu bleiben und die Fenster zu verkleben. Sie riefen die jungen Männer von Mossul auch zum Widerstand gegen den IS auf. Einen ähnlichen Appell formulierten auch einstige Verbündete der Terrormiliz: die bewaffneten Anhänger von Izzat Ibrahim al-Douri, der ehemaligen Nummer zwei des Baath-Regimes von Ex-Diktator Saddam Hussein.

5. Wie viele Menschen werden aus der Millionenstadt Mossul fliehen?

Die UNO stellt sich darauf ein, dass bis zu 700.000 Menschen aus Mossul fliehen könnten. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR versuchte vorsorglich, Lager einzurichten. Doch bisher wurde nur Platz für 60.000 Flüchtlinge geschaffen. Auch Hilfsgelder blieben aus. In den nordirakischen Kurdengebieten befinden sich bereits 1,8 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2016)

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