Teherans Bombe: Countdown läuft

Plakat mit Ahmadinejad
Plakat mit Ahmadinejad(c) AP (Evan Vucci)
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Israel befürchtet ein Ende aller Friedensbemühungen im Nahen Osten, wenn der Iran in den Besitz von Kernwaffen kommt. Der Dialog zwischen den USA und Teheran wird in Israel mit großer Skepsis gesehen.

JERUSALEM. Während der Weltsicherheitsrat über Abrüstung und eine atomwaffenfreie Welt debattierte, leisteten sich Israels Premierminister Benjamin Netanjahu und der iranische Präsident Mahmoud Ahmadinejad in der UNO-Generalversammlung ein heftiges verbales Gefecht. Der Iraner kritisierte Israels „unmenschliches Vorgehen“ gegen die Palästinenser. Nur ein Teil der „zionistischen Verbrechen“ sei überhaupt öffentlich bekannt geworden.

Auf Ahmadinejads Vorwurf, der Holocaust sei eine Lüge, konterte Netanjahu im New Yorker UN-Hauptquartier mit einem Dokument der Wannseekonferenz von 1942. „Ist das vielleicht eine Lüge?“, fragte er und hielt den Bauplan für Auschwitz in die Luft. Beiden Politikern ging es bei ihren flammenden Auftritten aber weder um die Palästinenser noch um den Holocaust, sondern um das von Teheran kontinuierlich vorangetriebene Atomprogramm.

Der Iran will Zeit gewinnen

Mit großer Skepsis wird in Israel der am 1.Oktober beginnende Dialog zwischen den USA und Teheran über das iranische Atomprogramm gesehen. „Teheran will Zeit gewinnen, bis der ,point of no return‘ überschritten ist und ein Angriff auf seine Atomanlagen nicht mehr infrage kommt“, warnt der Nahostexperte, Professor Eyal Zisser vom Mosche Dayan Zentrum in Tel Aviv. „Eine Atommacht Iran würde die Realität im Nahen Osten grundlegend verändern und alle Bemühungen, zu einer israelisch-arabischen Einigung zu kommen, zunichtemachen.

Auch Dan Meridor, Israels Minister für Nachrichtendienste und Atomenergie, sieht die Gefahr des Atomprogramms längst nicht auf einen möglichen Angriff gegen Israel beschränkt. Mindestens so bedrohlich sei eine „Verschiebung der Machtverhältnisse“, sobald Teheran eine Atombombe habe. Es sei „keine Zeit mehr zu vergeuden“, mahnt er und appelliert an die westlichen Staaten, eine konzertierte Aktion – wenngleich nicht unbedingt militärischer Art – einzuleiten. Meridor gilt als einer der moderateren Politiker in Benjamin Netanjahus Kabinett.

Seit Jahren bemühen sich die israelischen Politiker, ihre westlichen Gesprächspartner davon zu überzeugen, dass die aus Teheran drohende Gefahr globaler Natur sei und nicht nur den Judenstaat betreffe. Dessen ungeachtet wird nicht zuletzt infolge der wiederholten verbalen Angriffe Ahmadinejads gegen Israel die Gefahr in Jerusalem unmittelbarer empfunden als in Berlin oder Madrid.

Geheimbesuch in Moskau

„Der Countdown läuft“, meinte jüngst William Cohen, ehemals US-Verteidigungsminister unter Bill Clinton. Israel werde nicht untätig zusehen, wie der Iran zur Atommacht werde. Auch der israelische Analytiker Amos Harel von der liberalen „Haaretz“ glaubt, dass „ein israelischer Angriff auf iranische Atomanlagen wahrscheinlich das Endspiel sein wird“.

Auch wenn das Säbelrasseln im Jerusalemer Regierungshaus gegen den Iran zuletzt etwas gedämpfter geworden ist: Jüngste Berichte über ein gekapertes Schiff, das auf dem Weg in den Iran war, und etwa der mysteriöse Besuch Netanjahus in Moskau deuten darauf hin, dass die Vorbereitungen auf einen eventuellen Präventivschlag keineswegs ad acta gelegt wurden.

Vergangene Woche war der Regierungschef für 14 Stunden von der Bildfläche verschwunden. Später berichteten Zeitungen über einen Geheimbesuch Netanjahus in Moskau. Offenbar galt seine Reise dem geplanten Verkauf russischer Luftabwehrraketen vom Typ S-300 an den Teheran. Das System könnte einen israelischen Angriff auf Irans Kernanlagen erschweren.

„Die Russen sind schwer zu überzeugen, wenn es um Geld geht“, glaubt Prof. Zisser, der zudem Medienberichterstattung über die Moskau-Reise für „aufgebauscht“ hält. Netanjahus Besuch sei vermutlich „Teil eines Dialogs“ gewesen, in dem es eben auch um Waffenhandel ging. „Jerusalem und Moskau unterhalten gute Verbindungen.“ Ob „aufgebauscht“ oder nicht: Einen hohen Beamten kostete das Auffliegen der Moskau-Reise sein Amt: Der Sicherheitsberater des Premierministers, General Meir Khalifi, muss sich einen neuen Arbeitsplatz suchen.

Der geplante Waffenhandel stand möglicherweise auch hinter der mysteriösen Entführung des Frachters „Arctic Sea“. Nach Berichten von „Yediot Achronot“ hatte der im August gekaperte Frachter, der Kurs Richtung Iran genommen hatte, das umstrittene Flugabwehrsystem geladen. Nach russischen Angaben war das Schiff von überwiegend aus Estland stammenden Piraten gekapert worden. Möglich ist, dass die Männer vom israelischen Geheimdienst angeheuert worden waren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2009)

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