Nach Festnahmen bestellt Österreich den türkischen Geschäftsträger ein

Bei Protesten gegen die Festnahmen kam es zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten
Bei Protesten gegen die Festnahmen kam es zu Zusammenstößen zwischen Polizei und DemonstrantenAPA/AFP/ADEM ALTAN
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Das Führungsduo der prokurdischen Partei HDP wurde festgenommen, der Internetzugang eingeschränkt. Die Regierungen in Wien und Berlin reagierten umgehend.

Ihre Immunität ist bereits vor Wochen aufgehoben wurden, nun wurden in der Nacht auf Freitag in der Türkei die beiden Vorsitzenden der prokurdischen Partei HDP festgenommen. Polizisten hätten die Ko-Parteichefs Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag in der Nacht zu Freitag im Rahmen einer "antiterroristischen Operation" abgeführt, berichtete die türkische Nachrichtenagentur Anadolu. Gegen Demiratas und Yüksekdag wurde noch am Freitag die Untersuchungshaft verhängt. Insgesamt wurden bei den nächtlichen Razzien elf HDP-Abgeordnete inhaftiert. Österreich und Deutschland bestellten daraufhin den jeweiligen türkischen Geschäftsträger ein.

Gegen Demirtas und Yüksekdag liefen bereits seit längerem Ermittlungsverfahren wegen "Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation". Die türkische Regierung wirft der linksliberalen HDP vor, der politische Arm der verbotenen Untergrundorganisation PKK zu sein, was die Partei zurückweist.

In der vergangenen Woche hatte ein türkisches Gericht Yüksekdag bereits mit einem Ausreiseverbot belegt. Sie wurde den Berichten zufolge in Ankara festgenommen. Demirtas wurde demnach von Polizisten aus seinem Haus in Diyarbakir im Südosten der Türkei abgeführt. Kurz vor seiner Festnahme hatte er eine Erklärung über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreitet: "Vor der Tür meines Hauses in Diyarbakir stehen Polizisten mit der Anweisung zur Vollstreckung eines Haftbefehls."

Die HDP verurteilte die Festnahme ihrer Abgeordneten  scharf. Es handle sich um "politische Lynchjustiz", erklärte die Partei am Freitag. Zugleich bekräftigte die HDP, sie werde sich dieser "diktatorischen Politik" nicht unterwerfen. "Das Ziel dieser Maßnahmen ist, die drittgrößte Partei im Parlament stillzulegen. Das ist nicht nur ein dunkler Tag für unsere Partei, sondern für die ganze Türkei und die Region, denn es bedeutet das Ende der Demokratie in der Türkei."

Die Regierung hat eingeräumt, dass die Behörden in Verbindung mit den jüngsten Ereignissen den Zugang zum Internet eingeschränkt haben. Ministerpräsident Binali Yildirim sagte am Freitag in Istanbul, es handle sich um eine "vorübergehende Maßnahme", die "aus Sicherheitsgründen" angeordnet worden sei. "Sobald die Gefahr vorbei ist, wird alles wieder normal funktionieren."

EU-Kommission "sehr besorgt"

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) entschied, den Geschäftsträger der türkischen Botschaft in Wien m Freitag einzubestellen. Damit solle die Bedeutung der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unterstrichen werden und Unmut und Unverständnis über die Verhaftung der Oppositionspolitiker ausgedrückt werden, sagte ein Sprecher von Kurz.

Auch der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier bestellte den türkischen Geschäftsträger in Berlin ein. "Die nächtlichen Festnahmen von Politikern und Abgeordneten der kurdischen Partei HDP sind aus Sicht des Außenministers eine weitere drastische Verschärfung der Lage", hieß es zur Begründung.

Scharfe Worte kamen auch vom deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck. "Was ich derzeit in der Türkei beobachte, bestürzt mich", sagte Gauck dem "Spiegel" laut Vorabbericht vom Freitag. Zusammenarbeit könne nicht den Verzicht auf Kritik bedeuten, so Gauck. Wenn die Regierung in Ankara den Putschversuch vom Juli nutze, um die Pressefreiheit faktisch auszuhebeln, wenn die Justiz instrumentalisiert werde und der Präsident die Wiedereinführung der Todesstrafe betreibe, würden zentrale Grundlagen eines demokratischen Rechtsstaats außer Kraft gesetzt. Das sei eine Eskalation, die die Europäer nicht unbeantwortet lassen könnten.

Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber, kritisierte nach den Festnahmen Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. "Wer die Rechtsstaatlichkeit verteidigt, muss sie auch praktizieren und deshalb muss Erdogan jetzt zur Vernunft kommen", sagte er am Freitag in der ARD. Erdogan müsse nun zur Rechtsstaatlichkeit zurückkommen. "Er kann nicht mit Kollektivschuld-Methoden vorgehen."

Der Co-Chef der deutschen Grünen Cem Özdemir rief indes die deutschen Parteien zum gemeinsamen Handeln auf. "Ich schlage vor, dass alle demokratischen Parteien, die im Bundestag vertreten sind, gemeinsam agieren", sagte er  in Berlin.

Anschlag in der Kurdenmetropole

Nur kurze Zeit nach den Festnahmen kam es zu einem Anschlag in der Kurdenmetropole Diyarbakir im Südosten des Landes. Nahe des Polizei-Hauptquartiers der Provinz detonierte eine Autobombe. Nach Angaben der Sicherheitskräfte gab es acht Tote und mehr als 100 Verletzte. Es soll sich um einen Selbstmordanschlag gehandelt haben: Unter den Toten sei ein "Terrorist" der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, sagte der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim am Freitag vor Journalisten in Istanbul.

(APA/AFP/DPA)

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