Polens Regierung schränkt die Bürgerrechte weiter ein

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Neues Versammlungsgesetz erschwert Proteste, auch das Verfassungsgericht soll dem Willen der PiS unterworfen werden.

Warschau. „Der Kommunismus ist zurück!“, „Schande!“ und „Wehe der Diktatur!“, schrien die liberalen Parlamentarier in Polen. Aber es brachte nichts. Mit 224 zu 196 Stimmen verabschiedete der von der Kaczyński-Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) dominierte Sejm am Freitag ein neues Gesetz über die Versammlungsfreiheit. Es schränkt diese auf Antrag der PiS in Zukunft empfindlich ein.

Das neue Versammlungsgesetz dürfte der Opposition künftig öffentliche Proteste und Demonstrationen deutlich erschweren: Es sieht eine Vorzugsbehandlung für Regierungsmärsche und religiöse Prozessionen vor. Diese haben bei Bewilligungen stets Vorrang, auch wenn ein anderer Organisator seine Marschroute früher eingereicht hat. Damit würden Sicherheitsprobleme verhindert, argumentiert die rechtsnationale PiS-Regierung. „Es hat doch keinen Sinn, dass zur gleichen Zeit am gleichen Ort zwei Demonstrationen stattfinden“, sagte Innenminister Mariusz Błaszczak (PiS) am Freitag im Sejm, der Großen Kammer des polnischen Parlaments.

Den Vorzug sollen auch sogenannte zyklische Manifestationen genießen, etwa Jaroslaw Kaczyńskis monatliche Gedenkmärsche für die Flugzeugabsturzopfer von Smolensk, allen voran für seinen Zwillingsbruder Lech. Zusammen hatten die beiden vor 15 Jahren die PiS damals noch als rechtsliberale „Law and Order“-Partei gegründet.

Heftige Kritik von Menschenrechtlern

Die Helsinki-Menschenrechtsstiftung hat das neue Gesetz heftig kritisiert, da es die Bürgerrechte nicht stärke, sondern vielmehr einen Rückschritt darstelle. „Zudem wird bei der Bewilligung nicht mehr der friedliche Charakter von Demonstrationen beachtet, sondern nur noch deren Häufigkeit.“ Das Gesetz widerspreche vermutlich der Verfassung.

Doch ein unabhängiges Urteil über die Verfassungskonformität dürfte in Polen bald noch schwieriger werden als bisher. Hatte die PiS das Verfassungsgericht gleich nach ihrer Machtübernahme vor Jahresfrist mit Gesetzesnovellen de facto blockiert, so scheint Kaczyńskis Regierungspartei PiS Mitte dieser Woche eine machiavellistische Lösung für den Streitpunkt mit EU und Venedig-Kommission des Europarats gefunden zu haben. Ein neues „Gesetz zur Arbeitsweise des Verfassungsgerichtes“ will dieses ein für alle Mal den eigenen Parteiinteressen unterordnen.

Polenfeindliche Hassfigur

Anlass für die bereits dritte Gesetzesnovelle ist das Ende der Amtsperiode Adam Rzeplińskis, des bisherigen Gerichtspräsidenten. Dieser einstige Studienkollege von Jaroslaw Kaczyński wurde von der PiS zu einer polenfeindlichen Hassfigur erhoben und soll deshalb seinen Nachfolger nicht mehr mitbestimmen können. Bisher hatte das Verfassungsgericht seinen Präsidenten jeweils aus den eigenen Reihen gewählt – nun will auch hier die PiS das letzte Wort haben. Deshalb sieht das Gesetz vor, das das Gerichtspräsidium am Tag von Rzeplińskis Abtritt (19. Dez.) automatisch auf den ältesten Richter übergeht.

Dies ist – wie könnte es anders sein – das PiS-Mitglied Julia Przyłębska. Sie soll das Verfassungsgericht vorübergehend leiten, bis Staatspräsident Andrzej Duda (PiS) aus einer Liste von beliebig vielen (und bestimmt auch regierungskritischen) Vorschlägen einen neuen Obersten Verfassungsrichter ausgewählt hat. Damit stellt die PiS sicher, dass der Gerichtspräsident aus den eigenen Reihen stammt. Dieser soll dann die vom Sejm gewählten drei Verfassungsrichter einsetzen. Hat die Kaczyński-Partei so Anfang 2017 erst einmal eine hörige Mehrheit im Verfassungsgericht, kann dieses deblockiert werden und wieder Urteile sprechen – die von der Regierung nun auch wieder anerkannt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2016)

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