77 Minuten Merkel-Rede: "Ich will immer noch"

Angela Merkel hofft auf große Zustimmung ihrer Partei für die erneute Kanzlerkandidatur.
Angela Merkel hofft auf große Zustimmung ihrer Partei für die erneute Kanzlerkandidatur.(c) APA/AFP/PATRIK STOLLARZ (PATRIK STOLLARZ)
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Bei der Parteitagsrede stimmt Kanzlerin Merkel ihre Partei CDU auf den Wahlkampf ein - und muss bei ihrer Wiederwahl einen kleinen Dämpfer hinnehmen.

Die deutsche Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel hat ihre Partei auf einen harten Bundestagswahlkampf im nächsten Jahr eingestimmt und eindringlich um Unterstützung gebeten. "Ihr müsst mir helfen", sagte die 62-Jährige zu den rund 1.000 Delegierten in der Essener Grugahalle (Nordrhein-Westfalen). Und die Unsterstützung bekam sie, wenn auch mit einem kleinen Dämpfer. 89,5 Prozent der Delegierten stimmten für Merkel als CDU-Vorsitzende, nur wenig mehr als bei ihrem bisher niedrigstem Wert im Jahr 2004 (88,4%). Von 97 Prozent Zustimmung wie 2012 kann Merkel nur träumen. Nach ihrer Rede gab es auch viel Kritik.

"Die Bundestagswahl wird schwierig wie keine Wahl zuvor, zumindest seit der Einheit. Sie wird wahrlich kein Zuckerschlecken", sagte sie. Merkel wollte sich an diesem Dienstag zum neunten Mal zur CDU-Vorsitzenden wählen lassen. Sie steht seit fast 17 Jahren an der Spitze ihrer Partei und will sie 2017 auch zum vierten Mal als Kanzlerkandidatin in den Bundestagswahlkampf führen.

Keine einfache Entscheidung

In ihrer 77-minütigen Rede wurde Merkel erst in der letzten Viertelstunde kämpferisch und persönlich. Ihre Entscheidung, nochmals als Kanzlerkandidatin anzutreten, sei alles andere als trivial gewesen - "weder für das Land, noch für die Partei, noch für die Person", sagte die Parteivorsitzende. "Ich will immer noch und immer weiter ins Offene gehen."

Merkel machte deutlich, dass der Wahlkampf gegen das Regierungsmodell Rot-Rot-Grün gerichtet wird. "Wir haben die Aufgabe, so stark zu sein, dass das verhindert wird", sagte sie. "Unsere Zukunft hängt einzig und alleine von unserer eigenen Stärke ab." Derzeit regiert die CDU mit ihrer bayerischen Schwesterpartei CSU in einer großen Koalition mit der SPD.

Die Parteivorsitzende wurde von Delegierten mit elf Minuten stehendem Applaus gefeiert. Während ihrer Rede erhielt sie besonders viel Beifall für ihre Forderung nach einem Burka-Verbot, wo immer das rechtlich möglich ist.

"Bei uns heißt es: Gesicht zeigen, deswegen ist die Vollverschleierung nicht angebracht", sagte sie. Die CDU will die Burka - die Vollverschleierung - etwa vor Gericht, bei Polizeikontrollen und im Straßenverkehr verbieten.

Union als "politische Erfolgsgeschichte"

Eine neue Botschaft brachte Merkel in Sachen Flüchtlingspolitik nicht nach Essen mit. "Eine Situation wie die des Spätsommers 2015 kann, soll und darf sich nicht wiederholen. Das war und ist unser und mein politisches Ziel", bekräftigte sie. Im vergangenen Jahr waren 890.000 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Die CSU verlangt deshalb eine Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr. Merkel lehnt das ab.

Sie rief CDU und CSU zu Geschlossenheit auf. Die Schwesterparteien hätten es immer geschafft, das Beste für Deutschland zu tun, wenn es darauf angekommen sei. Dies gelte auch für die Flüchtlingspolitik, sagte die Kanzlerin, ohne den Streit mit CSU-Chef Horst Seehofer über eine Obergrenze direkt anzusprechen. Die Union sei "die politische Erfolgsgeschichte in Deutschland".

Seehofer wurde nicht zum Parteitag eingeladen. Die Schwesterpartei wird in Essen von Generalsekretär Andreas Scheuer und der Landesgruppenchefin im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, vertreten.

Wirtschaftspolitik als Erfolg

Als Erfolge ihrer bisher elfjährigen Amtszeit nannte Merkel die Halbierung der Arbeitslosigkeit und die Stärkung der Wirtschaft. "Vor elf Jahren galten wir als der kranke Mann Europas, heute sind wir Stabilitätsanker", sagte sie.

Außenpolitisch nannte Merkel angesichts wachsender internationaler Ungewissheiten die Stabilisierung der EU als das vorrangige Ziel. "Wir müssen in dieser Lage, in der die Welt aus den Fugen geraten ist, zunächst alles daran setzen, dass Europa nicht noch schwächer aus den Krisen hervorgeht, als es hineingegangen ist", sagte die Kanzlerin.

Die Wettbewerbsfähigkeit Europas müsse gerade in der Krise gestärkt werden. "Denn Deutschland geht es nur dann gut, wenn es auch Europa gut geht."

Merkel beklagte, dass die Staatengemeinschaft noch nicht einmal Hilfslieferungen für die umkämpften Gebiete in Syrien zustande bringt. "Das ist eine Schande, dass es uns bis jetzt nicht gelungen ist, Hilfskorridore dort hinzubekommen, und dafür müssen wir weiter kämpfen."

Kritik am Kurs der Chefin

Nach langem Applaus zeigte sich in den folgenden Reden aber, dass nicht alle ganz zufrieden mit Merkel als Parteichefin sind. Die baden-württembergische Delegierte Christine Arlt-Palmer beklagte, die CDU habe es ermöglicht, "dass sich am rechten Rand die AfD gebildet hat. Dieses Terrain werden wir nicht zurückgewinnen".

In der Flüchtlingspolitik habe man "Herrn Seehofer gegen die Wand laufen lassen". Dabei habe sich der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer - von der Obergrenze abgesehen - bei allen Themen durchgesetzt. Deswegen könne sie die Euphorie beim Parteitag, der Merkel über zehn Minuten lang applaudiert hatte, nicht teilen.

Der ehemalige hessische CDU-Fraktionschef Christean Wagner, der immer wieder auf das konservative Profil der CDU pocht, sagte: "Ich halte viel davon, dass wir nüchtern die Realität betrachten und uns fragen, wo wir besser werden müssen."

Ein weiterer Delegierter aus Baden-Württemberg griff Merkel frontal an. "Sie haben im Kielwasser des Zeitgeists die CDU nach links geführt", sagte Eugen Abler. "Links gewinnen wir wenige Wähler, rechts verlieren wir viele."

Es sei falsch, die rechtspopulistische Alternative für Deutschland zu ignorieren. Viele Konservative seien "heimatlos" geworden. Merkels Flüchtlingspolitik sei grundfalsch gewesen.

(APA/dpa)

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