Auszug aus Aleppo

Flucht aus dem Krieg. Ein verletzter Bub sitzt in einem der Rettungsfahrzeuge, die Rebellen und ihre Angehörigen aus dem Ostteil der syrischen Stadt Aleppo bringen sollen.
Flucht aus dem Krieg. Ein verletzter Bub sitzt in einem der Rettungsfahrzeuge, die Rebellen und ihre Angehörigen aus dem Ostteil der syrischen Stadt Aleppo bringen sollen.APA/AFP/KARAM AL-MASRI
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Präsident Assad feiert die „Befreiung“ der nordsyrischen Metropole. Die Zivilisten verlassen den zerstörten Osten der Stadt.

Es ist sein bisher größter Sieg im bald sechs Jahre dauernden Bürgerkrieg, und er wurde blutig erkauft: Am Donnerstagnachmittag verkündete Syriens Präsident, Bashar al-Assad, die „Befreiung“ Aleppos, der zweitgrößten Stadt Syriens. Pathetisch sprach er in seiner mit einem Handy gefilmten Videobotschaft von einem „Sieg für die ganze Welt“. Die Syrer hätten mit der Vertreibung der Rebellen aus der zweitgrößten Stadt des Landes Geschichte geschrieben.

Während der Präsident den Sieg auf dem Schlachtfeld medial auskostete, wurde der Ostteil Aleppos, den jahrelang die Rebellen gehalten hatten, evakuiert – und das anscheinend weitgehend zu den Bedingungen des Assad-Regimes und seiner iranischen Verbündeten. Nach Angaben des Staatsfernsehens sollten 4000 Kämpfer und ihre Familien aus dem verwüsteten Stadtteil über einen etwa 20 Kilometer langen Korridor in die benachbarte Rebellenprovinz Idlib transportiert werden. Damaskus garantiere ihre Sicherheit, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Es werde in den nächsten Tagen auch keine Luftangriffe auf Idlib geben.

Zunächst waren in einem ersten Konvoi aus 40 Bussen und Krankenwagen 951 Menschen abgeholt worden, vor allem Schwerverletzte, aber auch etwa 200 Rebellen sowie Frauen und Kinder. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete, Aufständische seien dabei, ihre Hauptquartiere, Fahrzeuge und Waffen zu zerstören. Zivilisten verbrannten Möbel und Haushaltsgegenstände, damit sie den syrischen Soldaten und Milizen nicht in die Hände fallen. Fernsehbilder zeigten vereinzelte Rauchsäulen über den Rebellenvierteln.

Auf Druck des Iran werden gleichzeitig auch rund 1200 Kranke und Verletzte sowie deren Familien aus den beiden schiitischen Dörfern al-Foua und Kefraya im Nordwesten Syriens abgeholt, die von Assad-Gegnern belagert werden. Unklarheit herrschte dagegen am Donnerstag weiterhin darüber, was mit den 10.000 übrigen Zivilisten geschehen wird, die sich hungernd und frierend in den letzten beiden noch nicht vom Regime zurückeroberten Quadratkilometern aufhalten. Der Bürgermeister von Ostaleppo, Brita Hagi Hasan, sagte auf dem EU-Gipfel in Brüssel, 50.000 Menschen liefen Gefahr, Opfer von Massakern durch das Regime zu werden.

Russland und die Türkei hatten am Dienstagabend zunächst mitgeteilt, sämtliche noch in der zerstörten Enklave ausharrenden Zivilisten und Kämpfer würden weggebracht. Die Zivilisten könnten dabei wählen, ob sie in Regimegebiete oder Rebellengebiete gehen wollten. Parallel dazu kündigte der türkische Vizepremierminister, Mehmet ?imşek, an, die Türkei bereite ein Aufnahmelager für 80.000 Menschen aus Aleppo vor. Das Assad-Regime aber sträubte sich gegen solche Pläne. Man habe lediglich dem Abtransport der Bewaffneten und ihrer Angehörigen zugestimmt, hieß es in einer ersten Reaktion.

Dreiergipfel am 27. Dezember

Die Türkei kündigte an, man werde sich am 27. Dezember zu einem Dreiergipfel mit dem Iran und Russland in Moskau treffen, um eine politische Lösung des blutigen Konflikts zu diskutieren, der bisher mindestens 320.000 Menschen das Leben gekostet hat. „Wir wollen versuchen, einen Waffenstillstand für das ganze Land zu vereinbaren und Verhandlungen für eine politische Lösung beginnen“, sagte Außenminister Mevlüt Cavuşoğlu.

Irans Präsident, Hassan Rohani, gratulierte Syriens Machthaber, Bashar al-Assad: „Der Sieg in Aleppo ist ein großer Sieg des syrischen Volkes gegen Terroristen und ihre Unterstützer.“ Irans Revolutionsgarden spielen in Syrien eine Schlüsselrolle, genauso wie die Kämpfer der libanesischen Hisbollah und die vom Iran bezahlten und trainierten schiitischen Milizen aus dem Irak.

LEXIKON

Aleppo (2011 etwa 2,1 Millionen Einwohner) tauchte schon im 19. Jh. vor Christus in Schriften erstmals als Siedlung namens Halab (auf Akkadisch) oder Chalba (auf Ägyptisch) auf, sie war damals Hauptstadt des kleinen Königtums Jamchad und bezog ihren Wohlstand nicht zuletzt durch ihre Lage an wichtigen Verkehrsrouten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2016)

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