Tschechien: Volksbewaffnung gegen den Terror

Innenminister Milan Chovanec will im Kampf gegen den Terror nicht nur die Polizei, sondern auch die Bürger aufrüsten.
Innenminister Milan Chovanec will im Kampf gegen den Terror nicht nur die Polizei, sondern auch die Bürger aufrüsten.(c) imago/CTK Photo
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Während die EU über ein schärferes Waffenrecht debattiert, will der tschechische Innenminister, Milan Chovanec, das Recht der Bürger auf eine Waffe in der Verfassung verankern.

Prag. Mitte 2015, als sich Massen von Flüchtlingen auf den Weg nach Mitteleuropa machten, brach in Tschechien Panik aus. Da alarmierte eine Studentin in Domažlice die Polizei, weil „ein schwarz gekleideter Flüchtling mit einem Maschinengewehr über der Schulter“ durch die Straßen spaziere. Der gefährliche Flüchtling stellte sich als Rauchfangkehrer heraus, der sein Handwerkszeug zum Putzen der Kamine geschultert hatte.

In Mladá Boleslav (Jungbunzlau) nahm die Polizei drei Dunkelhäutige fest, auf die Bürger aufmerksam gemacht hatten, weil sie mutmaßlich aus einem nahen Abschiebelager ausgebrochen waren. Es handelte sich um Neuzugänge des ortsansässigen Erstliga-Fußball-Vereins. In Mähren sperrten Beamte ebenfalls mehrere Schwarze ein, die sich später als Mitglieder eines afrikanischen Chors entpuppten, der sich auf einer Konzerttournee befand. Andernorts fielen Waldarbeiter aus der Slowakei als verdächtig auf.

Wie im Wilden Westen

An solche Fälle erinnerte am Dienstag eine Prager Zeitung und schrieb: „Die Vorstellung bewaffneter Heimwehren ist grauenvoll. Leuten, die erst handeln und danach zu denken beginnen, drückt man keine Waffe in die Hand.“ Im Internet schrieb ein gewisser Stanislav Konecny: „Das ist Ausdruck von totalem Populismus. In unserem Land fahren die Leute auch mit einem Führerschein wie die Säue. Prima Wilder Westen, der da auf uns zukommt.“

Tschechiens sozialdemokratischer Innenminister, Milan Chovanec, sieht das anders. Als Reaktion auf die Terrorangriffe von Nizza und Berlin will er das Recht auf Schusswaffenbesitz in der Verfassung verankern. In seiner Vorlage heißt es, „aktive und rasche Verteidigung“ könne die Chancen von Angreifern verringern. Den Tschechen solle das Recht zugestanden werden, mit Schusswaffen „Leben, Gesundheit und Eigentum“ zu verteidigen. Auf diese Weise könnten sie zur „Sicherstellung der inneren Ordnung, zur Sicherheit und territorialen Integrität“ des Landes beitragen.

Die Idee von Chovanec dürfte die Anhänger von Präsident Milo? Zeman erfreuen. Der sieht durch die Migranten – obgleich sie um sein Land einen großen Bogen machen – die Sicherheit Tschechiens bedroht und hat angekündigt, sich den „illegalen Fremden“ notfalls selbst an der Grenze mit der Waffe entgegenzustellen.

Relativ geringe Terrorgefahr

Dass es dem Innenminister darum geht, präventiv etwas gegen die Terrorgefahr in Tschechien zu tun, die selbst nach Angaben seines eigenen Ministeriums vergleichsweise gering ist, darf bezweifelt werden. Tschechien gehört vielmehr zu den Ländern in der EU, die von Beginn an gegen jegliche Verschärfung des Waffenrechts auftraten. Querschüsse kommen derzeit auch aus Frankreich, Italien und anderen mittelosteuropäischen Ländern, namentlich der Slowakei. Sie alle versuchen, ein härteres Waffengesetz zu verwässern.

Zudem könnte sich das Recht auf Waffenbesitz zu einer Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die ohnehin florierende tschechische Waffenindustrie entwickeln. Pistolen aus Tschechien sind beliebt – auch bei ausländischen Terroristen. Und die Tschechen schwören bei jedem Einkauf auf heimische Produkte. Weshalb also nicht auch bei Waffen, fragen Kritiker. Das könnte übrigens auch Teile der Prager Opposition überzeugen, die Chovanec für sein verfassungsänderndes Gesetz bräuchte. Schon jetzt gibt es in dem Zehn-Millionen-Volk 300.000 Besitzer eines Waffenscheins und knapp 800.000 Waffen. Tendenz seit Jahren steigend. Sie dürfen für die Selbstverteidigung eingesetzt werden, „wenn eine noch größere Gefahr nicht anders abgewehrt werden kann“.

Von Zuständen wie in den USA will das Prager Innenministerium nichts wissen. Anders als dort soll der Besitz und der Gebrauch von Waffen nicht als „Grundrecht“ in der Verfassung verankert werden, heißt es. Man werde im Gegenteil im Zuge des Gesetzes die Bedingungen für den Waffenbesitz verschärfen. Auf welche Weise, ließ der Innenminister offen. Unklar ist auch der Unterschied zwischen „Recht“ und „Grundrecht“.

Bei einem Terrorangriff auf „weiche Ziele“ seien jedoch die schnellen Eingreifmöglichkeiten staatlicher Organe begrenzt, so der Minister. In einem solchen Fall sollen die künftigen Waffenbesitzer helfend eingreifen können. Wie dies funktioniere, zeige das Beispiel Israel, sagte Chovanec, wenngleich er einräumte, dass die Regierung in Jerusalem „in einer völlig anderen Situation“ als Tschechien sei.

Sarkasmus im Internet

Fakt ist: Die Hysterie in Tschechien, die der Minister nach Meinung seiner Kritiker mit seinem Vorschlag ausnutzt, hat nach dem Anschlag von Berlin noch einmal zugenommen. So verbot der Bürgermeister des 16.000-Einwohner-Städtchens Uherský Brod (Ungarisch Brod) auf Empfehlung der Polizei kurz vor dem Fest, die Handvoll Buden des Weihnachtsmarktes zu öffnen. Der Shitstorm im Internet gipfelte in der sarkastischen Bemerkung eines gewissen Jakub: „Wäre ich Terrorist, dann fiele mir als nächstes Ziel in Europa nach Paris, London und Berlin auch sofort Uherský Brod ein.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2017)

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