Türkei: „Enttabuisierung der Armenier-Frage“

(c) Jutta Sommerbauer
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Die Soziologin Pinar Selek sieht die türkisch-armenische Annäherung positiv.

Wien (som). Am Dienstag erhielt Pinar Selek ausnahmsweise einmal gute Nachrichten aus ihrer Heimat: Die Soziologin erhält den diesjährigen Duygu-Asena-Preis, eine renommierte Auszeichnung der türkischen Sektion der Journalistenvereinigung „P.E.N.-Klub“. Für Selek, sie lebt derzeit in Deutschland, ist es eine Anerkennung ihrer Arbeit über kontroversielle Themen wie Minderheitenrechte, Militär und Frauenpolitik in der Türkei.

Und es ist ein Zeichen der Unterstützung für die 1971 Geborene mit den dunkelbraunen Locken, die bedächtig spricht und ein breites Lachen auf ihre Lippen zaubert. Denn die türkische Justiz hat Selek im Visier. 1998 legte man ihr ein Bombenattentat zur Last, sie saß zwei Jahre im Gefängnis. Schließlich wurde sie freigesprochen. Sie selbst hatte die Vorwürfe stets bestritten. Derzeit entscheidet ein Berufungsgericht über eine erneute Anklage.

Obwohl sie in Bedrängnis ist, setzt sie sich für andere ein – vor allem für Minderheiten in der Türkei.

Das vergangenen Samstag geschlossene Abkommen der Türkei mit dem langjährigen „Feind“ Armenien – und das gestrige Treffen des armenischen Präsidenten Serzh Sargsyan mit seinem Amtskollegen Abdullah Gül in Bursa anlässlich eines Fußballspiels – sieht sie als „Schritt in die richtige Richtung“, als „Enttabuisierung“. Sie sei zuversichtlich, dass das türkische Parlament den Vertrag, der u. a. die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vorsieht, ratifizieren werde. Positive Folgen erwartet sie etwa für die 60.000 in der Türkei lebenden Armenier. „Bisher wurden sie als Bedrohung gesehen“, sagt Selek, eine Unterzeichnerin der Internetaktion „Wir entschuldigen uns“ – eine Initiative, die der türkischen Leugnung des Völkermords persönliche Anteilnahme entgegenstellt. Selek glaubt an solche Aktionen „von unten“: „Das ist wichtiger als die staatliche Anerkennung des Genozids von 1915.“

Manko: wenig Frauen in Politik

Selek kämpft auch für Frauenrechte; in Wien hielt sie auf Einladung des „Wiener Instituts für Internationalen Dialog und Zusammenarbeit“ einen Vortrag über die „sehr starke“ türkische Frauenbewegung. Passt es da ins Bild, dass in einem neuen UN-Bericht von massiver Benachteiligung türkischer Frauen die Rede ist? „Beim Thema Frauen in der Politik und Erwerbsarbeit liegt die Türkei weit zurück“, gibt Selek zu. Schuld sei auch die gemäßigt islamistische AKP-Regierung. „Sie betreibt keine gendergerechte Politik, sondern nur Familienpolitik.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2009)

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