Italien: Eine neue Welt alla Beppe Grillo

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Der kurzfristige, überraschende Pro-Europa-Schwenk der Protestbewegung Fünf Sterne zeigt, dass sich die"Grillini" intensiv auf eine baldige Regierungsübernahme vorbereiten.

Rom. Beppe Grillo weiß, warum er von den EU-Liberalen einen Korb erhalten hat. Wieder ist ihm der Hauptfeind in die Quere gekommen: „Das Establishment hat uns ausgebremst, alle möglichen Kräfte stellten sich gegen uns“, wütete der Komiker aus Genua in seinem Blog.

Das „Establishment“, diesmal verkörpert im Vorstand der proeuropäischen Alde-Fraktion im EU-Parlament, hatte Montagabend den Aufnahmeantrag der radikaloppositionellen Fünf-Sterne-Bewegung wegen „fehlender Gemeinsamkeiten“ abgelehnt. Davor hatten die „Cinque Stelle“ bei Alde angedockt und überraschend ihr Bündnis mit den Euroskeptikern, darunter der britischen Ukip, beendet. Dabei verbindet die „Grillini“ mit den EU-Liberalen kaum etwas, außer vielleicht einige vage Vorstellungen von „direkter Demokratie“: Aldes wirtschaftsliberale Positionen waren für Grillos Egalitarismus immer der Inbegriff des verhassten „Euro-Establishments“ gewesen – und genau diesem „System“ hat die Bewegung den Krieg erklärt, unter anderem mit dem Wunsch nach einem Euro-Austritts-Referendum.

Sind nun die „Grillini“ über Nacht zu proeuropäischen Wirtschaftsliberalen mutiert? Alles deutet auf opportunistische Taktik hin: Im Deal mit Alde ging es vor allem um Aufteilung von Fördergeldern und Spitzenpositionen, zeigt ein Geheimpapier, das in Brüssel kursiert. Für beide Seiten hätte das Bündnis Vorteile gebracht.

Der von Grillo persönlich eingefädelte Deal dürfte auch innenpolitisch motiviert gewesen sein: Die bisher eher durch Rowdytum aufgefallene Fünf-Sterne-Bewegung hätte sich durch die Allianz mit Alde gern ein seriöseres Image verpasst. Denn die Grillini wollen an die Regierung: Noch heuer könnte in Italien ein neues Parlament gewählt werden, in Umfragen führen die Fünf Sterne. Die Zusammenarbeit mit Europas Liberalen hätte nicht nur den schlechten Ruf in EU-Hauptstädten verbessert, sondern auch moderatere Wähler in Italien angelockt. Angesichts der katastrophalen Bilanz der Bewegung in Rom brauchen die Cinque Stelle dringend eine Imagepolitur: In der Hauptstadt herrscht unter der „Grillini“-Bürgermeisterin Virgina Raggi das Chaos: Müllberge wachsen, Verkehrsbetriebe streiken – vor allem aber wird gegen mehrere Mitglieder der Stadtregierung wegen Korruption ermittelt.

Jenseits von rechts und links

Trotzdem sehen viele von Wirtschaftskrise und Politik frustrierte Italiener in der erst 2009 gegründeten „Bewegung“ nach wie vor die einzige Chance zur Erneuerung. Die „Grillini“ nährten sich bisher mit ihren Attacken gegen alle vor allem von dieser allgemeinen Unzufriedenheit.

Wie sieht es aber mit konkreten Programmen aus? Nicht nur in der Europapolitik hat die Bewegung demonstriert, wie flexibel sie sein kann: Die Distanzierung zur Ukip – Ex-Parteichef Nigel Farage ist (oder war) ein enger Freund Grillos – kam nach dem Brexit-Votum. Als Umfragen Ende Juni zeigten, wie sehr die Stimmung in Italien gegen einen EU-Austritt war, zeigten sich auch die Fünf Sterne plötzlich moderater in EU-Fragen. Auch sonst sind die Positionen eher vage: Kategorien wie rechts oder links lehnen die „Grillini“ ab – und tatsächlich sind sie in keinem politischen Spektrum wirklich einzuordnen: Bei Migrationsfragen vertreten sie einen restriktiven Kurs, wirtschaftspolitisch fordern sie Grundeinkommen für alle und sind strikt gegen Budgeteinsparungen.

Während die „Grillini“ selbst von einer Art utopischen „Online-Direkt-Demokratie“ träumen, sehen viele in der Bewegung autoritäre Züge: Mitglieder werden hinausgeworfen, wenn sie nicht auf Linie sind. Gegen Medien führt Grillo einen regelrechten Verbalkrieg: Erst unlängst forderte er „Volksgerichtshöfe“, die den Wahrheitsgehalt der verbreiteten Nachrichten überprüfen und „schuldige“ Journalisten zur Rechenschaft ziehen sollen.

Nebulös ist die Rolle, die das Internetunternehmen Casaleggio Associati spielt. Der Gründer, der inzwischen verstorbene Gianroberto Casaleggio, hatte mit Grillo die Fünf Sterne ins Leben gerufen. Beobachter sind der Meinung, dass das Unternehmen in Wirklichkeit die Fäden zieht – und dass hier auch die Entscheidungen getroffen werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2017)

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