Wer "sich bekennt", dem glaubt man gern

 Er meinte Glaubensbekenntnis, wenn er von Bekenntnis sprach: Reformator Philipp Melanchthon, Verfasser der „Confessio Augustana“ (Basis der evangelischen Kirchen A. B.), wie ihn ein Wittenberger Denkmal darstellt: zu seinem 450. Geburtstag mit Lorbeerkranz.
Er meinte Glaubensbekenntnis, wenn er von Bekenntnis sprach: Reformator Philipp Melanchthon, Verfasser der „Confessio Augustana“ (Basis der evangelischen Kirchen A. B.), wie ihn ein Wittenberger Denkmal darstellt: zu seinem 450. Geburtstag mit Lorbeerkranz.(c) Peter Endig / picturedesk.com
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Behaupten und sich bekennen sind beinah Gegensätze - im deutschen Reden über terroristische Bluttaten und den sich dazu "bekennenden" IS wird der Unterschied verwischt: über eine unselig gewordene Sprachformel.

IS has claimed responsibility“ – in den vergangenen Wochen ging die Formel wieder einmal durch die englischsprachigen Medien, nach den Anschlägen auf einen Berliner Christkindlmarkt und auf einen Istanbuler Nachtklub. Die Berichterstatter verwendeten die Wendung „to claim responsibility for something“, wohl ohne viel darüber nachzudenken. Sie ist nun einmal eine Standardformel, mit der man ausdrückt, dass sich nach einem Anschlag eine Terrororganisation gemeldet und angegeben hat, die Verantwortung dafür zu tragen. Im Englischen ist somit auch klar: Hier wird eine Verantwortung gefordert, beansprucht, behauptet. Das kann stimmen, oder auch nicht. Andere europäische Sprachen wie das Italienische oder Französische vermitteln denselben Eindruck – jenen der zunächst einmal nur behaupteten Zuständigkeit.

Im Deutschen ist eine andere Formel zur Gewohnheit geworden: Ob al-Qaida oder Hamas oder IS – die Terrororganisationen „bekennen sich“ zu diesem oder jenem Anschlag, heißt es meist. Die Wendung hängt eng mit der Tradition der „Bekennerschreiben“ zusammen. Früher auf der Schreibmaschine getippt oder mit ausgeschnittenen Buchstaben erstellt, wurden sie später von Tonaufnahmen und Videos abgelöst. Aber all diesen Äußerungen ist gemeinsam, dass sie als stolze öffentliche Statements gedacht sind. Daher waren auch die Massenmedien vor dem Aufkommen des Internets deren wichtigste Adressaten.

Man gesteht kleinlaut, und bekennt stolz

Die linke deutsche Terrororganisation RAF mit ihrer „Propaganda der Tat“ hat diese terroristische Bekennertradition geprägt wie nur wenige andere. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass die Rede von den „sich bekennenden“ Terroristen gerade im Deutschen Wurzeln geschlagen hat. Seit Jahren blüht nun wieder das „Bekennertum“ terroristischer Mörder, die stolz aufs Morden sind. Der Aspekt christlichen reuigen Schuldeingeständnisses spielt dabei kaum noch eine Rolle. Wer seine Verantwortung eigentlich verbergen will, aber sich gedrängt oder gezwungen wird, sie offenzulegen, legt heute kein Bekenntnis, sondern ein Geständnis ab.

Das Bekenntnis hingegen hat vom lateinischen Wort „confessio“ vor allem die positive Bedeutung behalten; man denkt dabei an aufrechte Menschen, die mutig zu ihren (richtigen) Überzeugungen stehen, oder ihrem Glauben: Vom Bekennen haben auch die christlichen Konfessionen ihren Namen.

Insofern war die Rede von den „sich bekennenden“ Terroristen immer schon heikel, weil sie der Selbstdarstellung der Terroristen entgegenkommt. Seit aber islamistische Terrororganisationen möglichst jede Bluttat eines Menschen mit muslimischer Herkunft für sich zu reklamieren versuchen, ist die Formel von den „sich bekennenden“ Terroristen vollends fragwürdig geworden.

Denn das deutsche Wort Bekenntnis vermittelt den Eindruck besonderer Ehrlichkeit und Authentizität, egal, ob in den autobiografischen „Bekenntnissen“ eines Augustinus, dem „Augsburger Bekenntnis“ der lutherischen Reichsstände, dem „Bekenntnis“ heutiger Menschen zu ihrer Homosexualität oder dem „Farbebekennen“ von Politikern.

Nichts drückt dies deutlicher aus als der erste Satz der „Bekenntnisse“ von Jean-Jacques Rosseau, in dem er ein „beispielloses Unterfangen“ ankündigt. „Ich will der Welt einen Menschen in seiner ganzen Naturwahrheit zeigen, und dieser Mensch werde ich selber sein.“ Bis heute lässt das Bekenntnis damit seine sprachlichen Wurzeln erkennen. „Bekennen“ bedeutete „kennen“, „erkennen“, daraus leitet sich auch das Wort „bekannt“ ab.

Bekennen hieß einst bekannt machen

In der Rechtssprache erhielt es die bis heute prägende Bedeutung, die des Bekanntmachens. Man konnte seinen Namen „bekennen“ – also angeben –, oder eine Tatsache erklären, zugeben, bestätigen. Bis heute schwingen diese Bedeutungen mit. Behauptungen wecken Zweifel. Bekenntnissen neigt man zu glauben. Ja, gerade weil dieses Wort so wenig Platz für Zweifel ließ, musste man ein eigenes für zweifelhafte Bekenntnisse dazuerfinden: das „Lippenbekenntnis“. Auch in heutigen Definitionen ist die Lüge nicht mitgedacht. Wikipedia etwa charakterisiert das Bekenntnis als „offene Äußerung oder das Öffentlichmachen eines den Akteur oder eine Gruppe betreffenden Sachverhaltes“.

2017 wird viel von Bekenntnissen die Rede sein, die mit blutigen, religiös motivierten Kriegen verbunden waren. Dafür sorgt allein schon das 500-Jahr-Jubiläum der Reformation. Wenigstens im Reden und Schreiben über den Terror könnte man an „Bekenntnissen“ einsparen. Warum immer weiter von sich bekennenden Terroristen schreiben, nur weil die Gewohnheit es einem aufdrängt? Weil es hier um nebensächliche Nuancen geht? Auch die Propagandisten des Terrors wägen Worte und Bilder, die sie im Internet deponieren. Man könnte auch sagen: Jedes Wort, das ihnen hilft, Angst zu verbreiten, ist ein Wort zu viel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2017)

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