ElBaradei: "Gefahr einer Atomexplosion wurde größer"

(c) Clemens Fabry
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Der Nobelpreisträger und Chef der Atomenergiebehörde IAEA, Mohamed ElBaradei, über die Chancen, den Atomstreit mit dem Iran zu lösen, den „Wahnsinn“ der Nukleararsenale und die Gefahr, dass Terroristen in den Besitz einer „schmutzigen Bombe“ gelangen könnten.

Wurde die Atomenergiebehörde IAEA durch die unlängst erfolgte Enthüllung einer geheimen neuen iranischen Atomanlage überrascht?

Mohamed ElBaradei: Wir hatten bis dahin keine Anhaltspunkte für die Existenz dieser Anlage. Nachdem uns der Iran informiert hatte, bekamen wir auch Hinweise von Geheimdiensten auf die Existenz dieser Einrichtung. Die Geheimdienste sagten dann, dass sie die Anlage bereits seit zwei, drei Jahren im Auge hätten. Leider haben sie uns davon erst jetzt unterrichtet.

Ist das nicht besorgniserregend, dass die Atomenergiebehörde nicht weiß, was der Iran treibt?

Der Iran hätte uns schon beim Bau der Anlage informieren sollen. So lautet die Regel. Der Iran rechtfertigte sein Schweigen damit, dass er aus Angst vor einem Bombardement die Anlage geheim gehalten habe. Man sei nicht verpflichtet gewesen, sie am Baubeginn zu melden. Die Iraner befinden sich mit dieser Haltung trotzdem im Unrecht.


Sie waren vor Kurzem im Iran. Was hatten Sie für ein Gefühl: Gibt es Hinweise auf ein Einlenken im Atomstreit?

Es gibt Grund zu Optimismus. Das Iran-Dossier wurde über Jahre schlecht gemanagt. Der Atomstreit ist nur Symptom der sehr schwierigen Beziehungen zwischen dem Iran und den USA. Wenn man nur daran denkt, wie beide Seiten einander beschrieben haben: Präsident George W. Bush ordnete den Iran einer „Achse des Bösen“ zu, der Iran sprach vom „großen Satan“ USA. Wenn man vom Gegenüber in biblischen Begriffen spricht, ist das nicht gerade hilfreich für den Aufbau besserer Beziehungen. Daran können wir den Mangel an Vertrauen und gutem Willen ersehen. Wir müssen auch den Atomstreit in diesem Kontext betrachten.

Der Iran sieht in der Urananreicherungstechnologie eine Art Versicherungspolizze und erhofft sich davon eine Anerkennung seiner Rolle in der Region. Denn die Beherrschung der Technologie verspricht Einfluss und Macht. Die wichtigste Frage ist und bleibt: Was sind die Intentionen des Iran? Die Fragen können nur beantwortet werden, wenn die Streitparteien an einem Tisch sitzen, um alle Differenzen auszuräumen.

Sie sprechen vom „Grand Bargain“, einer großen Lösung, davon, dass alle Probleme – nicht nur der Atomstreit – auf den Tisch kommen.

Das ist der einzig mögliche Weg. Natürlich: Man kann weitere Sanktionen verhängen. Ich halte es aber für sehr unwahrscheinlich, dass neue Sanktionen zu einem Einlenken des Iran führen. Im Gegenteil: Neue Sanktionen würden eine Verschärfung der Konfrontation bringen. Die einzige Lösung ist, Vertrauen aufzubauen.

Sind Sie dafür optimistisch?

Ja. Jetzt haben wir einen Türöffner für einen solchen Grand Bargain. Der Iran hat gebeten, bei der Beschaffung von Brennstoff für seinen Forschungsreaktor behilflich zu sein, und es gab positive Reaktionen von Russland, Frankreich und den USA, in der Frage mit dem Iran zu kooperieren. Mit diesem ersten vertrauensbildenden Schritt könnten wir einen wichtigen Beitrag leisten, die Krise zu entschärfen.

Aber wäre es nicht ein wenig seltsam, wenn ausgerechnet jetzt der Dialog beginnen würde? Präsident Ahmadinejad wurde erst vor vier Monaten bei einer umstrittenen Wahl gewählt, Proteste gegen angebliche Wahlfälschung gewaltsam niedergeschlagen.

Präsident Barack Obama hat verstanden, dass Verhandlungen mit dem Iran die einzig mögliche Lösung sind. Sechs Jahre wurden vergeudet. Wenn man vorwärtskommen will, muss man Verhandlungen ohne Vorbedingungen beginnen. Obama hat auch gesagt, dass die Verhandlungen in einem Klima gegenseitigen Respekts stattfinden sollen. Das ist ein sehr wichtiges Bekenntnis. Bei Verhandlungen spielt die Psychologie stets eine große Rolle. Und das ist es auch, was mir Präsident Ahmadinejad in Teheran gesagt hat. Der Iran möchte nicht nur über Nuklearfragen diskutieren, sondern die ganze Palette der Probleme mit den USA besprechen. Der Iran könnte im Nahen Osten eine wichtige positive Rolle spielen. In Afghanistan oder auch im Irak.

Es ist natürlich wunderbar, einem hoffnungslosen Optimisten gegenüberzusitzen. Aber gibt es nicht auch genügend Gründe für Pessimismus?

Die Bedrohung durch das iranische Atomprogramm ist aufgebauscht. Ich glaube nicht, dass wir morgen aufwachen und bemerken werden, dass der Iran eine Atomwaffe besitzt.

Israel droht mit der Bombardierung der iranischen Nuklearanlagen, um die Entwicklung einer iranischen Bombe zu verzögern.

Bomben auf den Iran sind keine Lösung. Ein israelisches Bombardement würde die gesamte Region in einen Feuerball verwandeln. Wir sollten uns die Frage stellen, warum Länder Atomwaffen entwickeln. Sie versprechen Macht und Prestige. Israel sagt, dass es einen Iran, der im Besitz von Atomwaffen ist, nicht hinnehmen kann. Wenn Sie aber nun mit den Führern der arabischen Länder sprechen, dann sagen diese, dass sie mit Israel, das Atomwaffen besitzt, nicht leben können. Die Lösung: Wir müssen für einen dauerhaften Frieden in der Region sorgen, und der gesamte Nahe Osten muss zu einer kernwaffenfreien Zone werden. Doch das braucht Zeit. Aber wir müssen auch vor Augen haben, dass das Ungleichgewicht, dass ein Land, nämlich Israel, außerhalb des Atomwaffensperrvertrags steht, während die anderen Länder an den Vertrag gebunden sind, auf Dauer nicht bestehen bleiben kann.

Während Ihrer Zeit wurde der Atomwissenschaftler Abdul Qadeer Khan verhaftet. Er ist Vater der pakistanischen Atombombe und wird beschuldigt, Atomtechnologie an alle möglichen Länder verkauft zu haben. Eine Figur wie aus einem „James Bond“-Film. Könnte es heute irgendwo auf der Welt noch Atomwissenschaftler wie ihn geben?

Ein schrecklicher Gedanke. Meine größte Sorge ist heute nicht, dass Atomtechnologie von Nationalstaaten missbraucht wird, sondern, dass extremistische Gruppen in den Besitz von Atomwaffen oder von radioaktivem Material gelangen. Das ist unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Eine sogenannte „schmutzige Bombe“, bei der radioaktives Material einem konventionellen Sprengkörper beigemischt wird, würde bei einer Explosion in einer Großstadt großen Schaden und wohl Massenpanik auslösen.

Leider muss man sagen, dass die Gefahr, dass es irgendwann eine Atomexplosion geben könnte, seit dem Ende des Kalten Krieges größer geworden ist. Staaten wissen sehr wohl, dass der Einsatz eines nuklearen Sprengsatzes dazu führt, dass sie selbst bei einem Gegenschlag pulverisiert werden. Das Gleichgewicht des Schreckens hat bislang den Einsatz von Nuklearwaffen verhindert. Aber extremistische Gruppen würden wohl Atomwaffen ohne Hemmungen einsetzen.

Könnte es sein, dass heute jemand genauso wie Khan nukleare Technologie verkauft?

Damit könnte man sehr viel Geld verdienen. Wir müssen sehr wachsam sein. Dieses Problem kann nur durch scharfe Exportkontrollen und durch Geheimdienstarbeit gelöst werden.


Die größte Kritik an Ihrer Person und Ihrer Rolle als Chef der Atomenergiebehörde kam stets von amerikanischer Seite. Diese Kritik lautete immer: ElBaradei ist zu politisch...

Leute, die glauben, dass die Atomenergiebehörde vor allem technische Fragen behandeln soll und außerhalb des politischen Kontexts agieren kann, haben wohl unsere Aufgabe nicht verstanden. Es gibt hier kaum Dinge, die nicht auch politische Implikationen hätten.

Ich bin ein Beamter einer internationalen Organisation. Ich bin den Mitgliedstaaten und der internationalen Staatengemeinschaft gegenüber verantwortlich. Wenn man unsere Arbeit schätzt, dann sagt man uns: „Geht voran, macht eure Arbeit.“ Und wenn einzelne Regierungen ein anderes Mal nicht mögen, was wir tun, dann sagen sie mir: „Du bist nur der Installateur, bleib bei deinen Rohren.“

Haben Sie einen Rat für Ihre Nachfolger?

Es wird darum gehen, sicherzustellen, dass die IAEA weiter als neutrale, unabhängige, objektive Institution wahrgenommen wird. Wir haben keine Armee, wir haben keine Regierung, wir werden immer wieder von verschiedenen Seiten attackiert. Mein Nachfolger darf keine Scheu haben, sich mit den Mächtigen anzulegen.


Wie lauten Ihre Zukunftspläne? Wollen Sie so etwas wie ein „Atom-Al-Gore“ werden, ein lautstarker Warner vor der Gefahr der Weiterverbreitung von Nuklearwaffen?

Absolut. Diese Dinge liegen mir sehr am Herzen. Das Überleben der Menschheit hängt davon ab, dass Atomtechnologie nicht in die falschen Hände gerät. Je früher wir die Abhängigkeit unserer Militärs von Atomwaffen beenden, umso früher werden wir ein globales Sicherheitssystem haben, das humaner ist. Es ist meine Absicht, mich zu diesen Dingen zu Wort zu melden. Was ich vermitteln möchte, ist, dass diese Sicherheitsfragen zu wichtig sind, als dass wir sie den Politikern allein überlassen können.

Als Barack Obama bei seiner Rede in Berlin von der Vision einer Welt ohne Atomwaffen sprach, hieß es, er sei naiv.

Die Militärs haben dieses Sicherheitssystem, das auch auf Nuklearwaffen beruht, erfunden. Daher sollte es auch möglich sein, es wieder abzuschaffen und unsere Sicherheit auf eine neue Basis zu stellen. Brauchen wir wirklich 27.000 Atomsprengköpfe, um die Sicherheit zu gewährleisten? Ich sehe heute auch noch keine Alternative zu diesem System. Das heißt aber nicht, dass wir nicht am Aufbau eines neuen Sicherheitssystems oder neuer Sicherheitsarchitekturen arbeiten sollten. Ich zitiere den US-Senator Sam Nunn, einen der wichtigsten Experten der nuklearen Abschreckung. Er sagte: „Auch wenn wir den Gipfel des Berges nicht sehen, heißt das nicht, dass wir nicht losmarschieren sollen.“

Hat Sie der Nobelpreis, den Sie im Jahre 2005 erhalten haben, verändert?

Der Nobelpreis gab mir und der Atomenergiebehörde Glaubwürdigkeit und verlieh uns mehr Gewicht. Da kann der Nobelpreis eine Menge bewirken. Viele haben missverstanden, warum der Nobelpreis an Barack Obama gegangen ist: Er hat diesen Preis meiner Meinung nach bekommen, weil er einen Stimmungswandel herbeigeführt hat. Er sucht den Dialog, sucht das Gemeinsame. Er hat die Vision einer Welt ohne Kernwaffen ins Spiel gebracht.

Natürlich hat er auf all diesen Feldern noch nicht sehr viel geleistet, aber man darf nicht vergessen, wie sehr sich die Welt in den vergangenen Monaten geändert hat, seit Barack Obama Präsident der Vereinigten Staaten ist. Ich persönlich hätte ihm allein für die Entscheidung, das Lager in Guantánamo Bay zu schließen, den Nobelpreis verliehen. Oder dafür, dass er Folter und die widerrechtliche Verschleppung von mutmaßlichen Terroristen aus Drittländern in die USA gestoppt hat. Allein dafür hat er den Nobelpreis verdient.

Haben Sie bereits daran gedacht, was Sie in Zukunft vermissen werden, wenn Sie nicht mehr Chef dieser Behörde hier in Wien sein werden?

Ich denke, ich werde es genießen, ein normales Leben zu führen. Meine Frau und ich haben in Südwestfrankreich ein Haus. Ich habe ihr versprochen, dass wir zumindest einen Monat lang dort verbringen werden und genau gar nichts tun. Außer vielleicht unser Baguette kaufen und uns um den Garten kümmern.

Zur Langversion des Interviews

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2009)

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