Davutoglu: Der Kissinger aus Konya

(c) AP (Hermann J. Knippertz)
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Lernen von den Osmanen: Ahmet Davutoglu richtete die türkische Außenpolitik neu gen Osten aus: Europa muss sich Ankaras Aufmerksamkeit nun teilen. Mit seiner Brille, seiner zierlichen Gestalt wirkt Ahmet Davutoglu manchmal wie ein gealterter Student.

Mit seiner Brille, seiner zierlichen Gestalt und seinem unaufdringlichen Wesen wirkt Ahmet Davutoglu manchmal wie ein gealterter Student und weltfremder Fachmann für ein akademisches „Orchideenfach“. Doch der kleine Professor ist nicht zu unterschätzen. Lange bevor er im Mai diesen Jahres zum Außenminister gekürt wurde, war er bereits der Architekt und sehr häufig auch der Ausführende der türkischen Außenpolitik. Einer neuen Außenpolitik, die das alte osmanische Umfeld stärker in den Fokus nimmt, und nicht alle Energien auf Europa richtet, von dem man ohnehin vor allem Zurückweisung erfährt.

Diesen Ahmet Davutoglu hat sich Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy schon mal bei der Türkei als diplomatischen Begleiter für einen Besuch in Syrien ausgeliehen. Und Mark Parris, der ehemalige amerikanische Botschafter in Ankara, bezeichnete ihn als den „Henry Kissinger der Türkei“.

Bevor die von Recep Tayyip Erdogan geführte islamisch-konservative AK-Partei Ende 2002 in Ankara die Macht übernahm, kamen fast alle Außenminister aus der städtischen Elite. Sie führten eine reaktive, meist passive Außenpolitik, immer ängstlich bemüht, nur ja keine türkischen Positionen zu gefährden. Die Beziehungen zu den Nachbarn waren meist schlecht.

Das hat sich geändert: Obwohl noch Ende der 90er-Jahre ein Krieg mit Syrien möglich schien, herrscht nun gutes Einvernehmen, mit den Kurden im Nordirak wird kooperiert, sogar die Beziehungen zu Armenien entspannen sich zusehends. Im Atomstreit des Westens mit dem Iran hat sich die Türkei sogar als Mittler angedient, erst am Freitag traf Davutoglu in dieser Sache Irans Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad.

Religiöser Hintergrund. Davutoglu kommt aus der Provinz. Er wurde 1959 im stark religiös geprägten mittelanatolischen Konya geboren. Von dort stammt auch Präsident Abdullah Gül, an dessen Seite Davutoglu erstmals Einfluss gewann. Seine erste Anstellung hatte er an der Internationalen islamischen Universität in Malaysia. Dieser Hintergrund hinderte das sonst sehr penible türkische Militär nicht daran, ihn für einige Jahre als Gastdozenten an einer Militärakademie zu beschäftigen. Ein Diplomat eben.

2001 veröffentlichte Davuto?lu sein Hauptwerk „Strategische Tiefe: Die internationale Lage der Türkei“, das zur Bibel der türkischen Außenpolitiker avancieren sollte. Dort vertritt er den Gedanken, dass die Türkei von einer Analyse der osmanischen Politik profitieren könne und dass ihrer Politik eben die strategische Tiefe fehle. Die Räume im Osten, das einst von den Osmanen beherrschte arabische Gebiet sowie weitere islamische Länder, aber auch der alte Kontrahent Russland müssten höheren Stellenwert gewinnen.

Der neue Blick nach Osten bedeutet für Davutoglu aber keine Abwendung von Europa und den USA, mehr eine Ergänzung. Gerade dank ihrer nun guten Beziehungen in der Region wurde die Türkei auch für Europa wieder interessanter.

Neo-Osmanismus. Hinzu tritt das Konzept der „Softpower“. Die Türkei soll sich nicht nur auf die Armee zu ihrem Schutz verlassen, sie soll ihre Nachbarn auch als Modell beeindrucken und so Einfluss gewinnen. Davutoglu beschreibt die früheren Sünden der türkischen Politik so: Ehedem sei die Türkei ein Spieler „mit starken Muskeln, einem schwachen Magen, Herzproblemen“ und einem „ziemlich mittelmäßigen Gehirn“ gewesen. Konkret: Die Türkei sei durch eine starke Armee, eine schwache Wirtschaft und Mangel an Selbstvertrauen und strategischem Denken gekennzeichnet gewesen. Mit vielem haben Davutoglu und Erdogan in den vergangenen Jahren gründlich aufgeräumt. Dabei trug die Relativierung der Rolle der Armee als Anker der Außenpolitik auch zur innenpolitischen Zähmung der Militärs bei.

Gelegentlich wird diese Politik als „Neo-Osmanismus“ bezeichnet, und das ist nicht immer positiv gemeint. Türkische Kritiker möchten damit zum Ausdruck bringen, dass die „osmanische“ Außenpolitik auch zu einer „Re-Osmanisierung“, soll heißen „Re-Islamisierung“, der Türkei führen wird. Cüneyt Zapsu, Absolvent der Deutschen Schule in Istanbul und jahrelanger Berater Erdogans, sieht es gelassen. Bei einem guten Frühstück meint der etwas behäbige Zapsu, man brauche sich doch wegen der Osmanen nicht zu genieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2009)

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