Haarsträubende Pannen im Irak-Krieg: Fünf Schuss pro Mann

Briten im Irak-Krieg: Fünf Schuss pro Mann
Briten im Irak-Krieg: Fünf Schuss pro Mann(c) EPA (David Jones)
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Interne Dokumente enthüllen schwerwiegende Mängel im Irak-Einsatz. Nun beginnt eine öffentliche Untersuchung. Auch Ex-Premier Tony Blair soll befragt werden.

London. Je mehr die britische Öffentlichkeit über den Irak-Krieg erfährt, desto deutlicher wird das Fiasko. Pünktlich – und sicher nicht zufällig – zum Auftakt der bereits dritten Untersuchung über den Krieg, die heute, Dienstag, in London beginnt, wurden nun interne Berichte bekannt, die gravierende Vorbereitungs- und Ausbildungsmängel der britischen Armee belegen. So soll bei Angriffsbeginn am 20. März 2003 jeder Soldat gerade einmal fünf Schuss Munition gehabt haben.

Die Funkgeräte gaben in der Mittagshitze regelmäßig den Geist auf und machten die Kommunikation im Feld unmöglich. Obwohl der Krieg unter dem Vorwand angeblicher Massenvernichtungswaffen des irakischen Diktators Saddam Hussein begonnen worden war, hatten die Briten so wenige Schutzanzüge, dass bei Transporten nur Soldaten in der ersten und letzten Reihe damit ausgestattet werden konnten. Über die Zusammenarbeit mit den verbündeten Amerikanern sagte der damalige britische Generalstabschef im Irak, Oberst JK Tanner, dem „Daily Telegraph“: „Sie sind Marsmenschen, denen das Wort Dialog völlig fremd ist.“

Als die britischen Soldaten vom Schlachtfeld dringende Hilferufe nach London um Verstärkung schickten, tauchte eines Tages in der irakischen Wüste ein Container mit Skier auf. Bei derart chaotischen Zuständen grenzt es an ein Wunder, dass nicht mehr als 179 britische Soldaten bei dem Einsatz im Irak gefallen sind. Mittlerweile unterhalten die Briten nur mehr eine kleine Präsenz in der südirakischen Stadt Basra, die ebenfalls so rasch wie möglich übergeben werden soll. 6,5 Milliarden Pfund hat das Debakel die Briten bisher gekostet. Und nun brennt der Afghanistan-Krieg auf den Nägeln, aus dem ähnliche Berichte über krasse Ausstattungsmängel bekannt sind.

Auch Blair wird angehört

Über die Verantwortung für den Irak-Krieg soll nun eine Untersuchung unter Leitung des pensionierten Spitzendiplomaten Sir John Chilcot durchgeführt werden. Im Gegensatz zu früheren Kommissionen werden die Anhörungen diesmal bis auf ausdrückliche Ausnahmen öffentlich sein.

Gehört werden soll unter anderem der frühere Premier Tony Blair, der 2003 den Einsatzbefehl gab. Noch Ende 2002 bestritt er im Unterhaus vehement, dass ein Krieg geplant sei. Die miserable Vorbereitung des Militärs sehen heute viele als direktes Resultat dieses Doppelspiels. Der konservative Verteidigungssprecher Liam Fox: „Der Vorwurf, dass britische Soldaten sterben mussten, weil Ausrüstung wegen eines politischen Täuschungsmanövers nicht vorbereitet wurde, ist wohl in seiner Schwere kaum zu überbieten.“

Die Chilcot-Kommission wird Blair freilich erst 2010 hören und ihren Bericht lange nach den Wahlen im Frühjahr vorlegen. Auch wenn Chilcot betont, es werde „keine Reinwaschung“ geben, hat seine Untersuchung kein juristisches Mandat. Vielmehr soll sie „beschreiben, was passiert ist“. Man darf sicher sein, dass dies dramatisch genug sein wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24. November 2009)

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