Minarett-Verbot: "Eine solche Initiative ist ein Witz"

Minarett-Verbot
Minarett-Verbot (c) AP (DOMINIC FAVRE)
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Das Referendum in der Schweiz ruft weltweit Reaktionen hervor: Palästinenser sehen Tür für Extremisten weit offen. Für die Schweizer Regierung ist das Verbot keine Absage an Muslime.

Die Abstimmung in der Schweiz, den Bau von Minaretten künftig zu verbieten, schlägt weltweit Wellen. In den Palästinensergebieten des Nahen Ostens sorgt das Votum für Unverständnis und Wut. Selbst die moderaten Palästinenser schütteln den Kopf über die Entscheidung. "Die Schweiz hat nicht rassistisch abgestimmt. Es war wohl vielmehr blanker Egoismus und die Sorge, dass niemand des Volkes Ruhe stören sollte", sagte Anouar Abou Eisheh, Rechtsprofessor an der Al-Quds-Universität in Ost-Jerusalem, am Sonntag.

Das Abstimmungsergebnis liefere den muslimischen Extremisten Argumente für ihren Kampf gegen den Westen. Für sie sei der Entscheid eine frontale Attacke gegen den Islam und seine Symbole. Er hoffe, dass das Beispiel in Europa keine Schule mache.

Dass die Schweiz überhaupt über Minarette abstimmen könne, erstaunt Bernard Sabella, christlicher Abgeordneter im palästinensischen Parlament in Ramallah. "Warum sind Minarette ein Problem?", fragt sich Sabella. "Eine solche Initiative ist ein Witz."

"Muslime können leben wie bisher"

In der Schweiz versucht man derweil zu beschwichtigen: Laut Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf ist das Bauverbot keine Absage an die Muslime, ihre Religion und ihre Kultur. Der Volksentscheid richte sich nur gegen den Bau neuer Minarette. Die Abstimmung sei aber Ausdruck vorhandener Ängste in der Bevölkerung vor islamistisch-fundamentalistischen Strömungen, die staatliche Traditionen der Schweiz ablehnten, hieß es weiter.

Den Religionsfrieden sieht Widmer-Schlumpf und mit ihr die Regierung aber weiterhin als "wesentliches Element des Erfolgsmodells Schweiz". Im Übrigen verweist die Schweizer Regierung (Bundesrat) darauf, dass die vier bisher in der Schweiz gebauten Minarette nicht abgebrochen werden müssen. Moscheen könnten weiterhin gebaut werden, neu einfach zwingend ohne Minarett. "Musliminnen und Muslime können in der Schweiz ihren Glauben also wie bisher leben und allein oder gemeinsam mit anderen praktizieren."

Unmut "unter Deckel gehalten worden"

Nach Ansicht der Initiatoren aus Kreisen der rechtskonservativen Volkspartei (SVP) und der Eidgenössisch-Demokratischen Union (EDU) war das Unbehagen gegen den wachsenden Einfluss des politischen Islam ausschlaggebend für die Annahme der Anti-Minarett-Initiative. Jahrelang sei der Unmut in der Bevölkerung gegen den Bau von Minaretten "unter dem Deckel gehalten worden", sagte Walter Wobmann, Präsident des Initiativkomitees, gegenüber dem Schweizer Fernsehen.

Den Vorwurf, die Annahme der Anti-Minarett-Initiative fördere die Ausgrenzung von Muslimen, ließ Wobmann nicht gelten. Für die Ausübung ihrer Religion benötigten die Muslime keine Minarette. Für integrationswillige Muslime bringe die Initiative keine Änderung. Das Minarett-Verbot müsse nun buchstabengetreu umgesetzt werden, forderten die Initiatoren. Inakzeptabel seien Bemühungen, die Umsetzung via Klage beim Europäischen Gerichtshof zu unterlaufen. Ein solcher Schritt würde Verfassungsrecht brechen.

Amnesty International ist bestürzt über die Annahme der Anti-Minarett-Initiative in der Schweiz. Ein vollständiges Minarett-Bauverbot stelle eine Verletzung der Religionsfreiheit dar und sei unvereinbar mit den Konventionen, die die Schweiz unterzeichnet habe, hieß es am Sonntag vonseiten der Menschenrechtsorganisation.

"Ohrfeige" für die Linke

Enttäuscht zeigten sich die politischen Parteien, die sich gegen das Verbot ausgesprochen hatten. Die sozialdemokratische Parlamentarierin Bea Heim sagte im Schweizer Fernsehen: "Die Initiative hat einen ganz sensiblen Nerv in der Bevölkerung, ein Unbehagen, getroffen." Es sei nicht nur um die Islam-Frage gegangen, sondern um die Wirtschaftskrise, die Angst um den Arbeitsplatz, die ganze Einwanderungsdiskussion, also alles, was "dick miteinander" gekommen sei. Die Stimmbürger hätten mit einem Ja zum Minarett-Verbot diesem Unbehagen symbolhaft Ausdruck gegeben.

Der Grüne Nationalrat Alec von Graffenried sprach gleichzeitig von einer "Ohrfeige" für die Linke. "Wir haben überhaupt nicht mit diesem Ergebnis gerechnet, weil wir dachten, wir könnten den Stimmbürgern die Ängste erklären", gab er zu.

"Es geht ja nur um den Turm"

Der Nationalrat Ruedi Noser von den Freisinnigen (FDP), die ebenfalls gegen das Verbot eintraten, zeigte sich im Schweizer Fernsehen relativ gelassen. Mit unmittelbaren Reaktionen aus dem arabischen Raum rechnet er nicht. "Wir sind nach wie vor sehr tolerant", sagte er und verwies darauf, dass Gotteshäuser immer noch gebaut werden können: "Es geht ja nur um den Turm."

Um diesen Unterschied in der arabischen Welt zu erklären, gehe man am besten nach wie vor "sehr anständig und sehr korrekt mit den Leuten in unserem Land" um und respektiere die Glaubensfreiheit. Große Nachteile für die Schweizer Wirtschaft in der arabischen Welt sieht Noser nicht.

(Ag./Red.)

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