Ägypten: Kopten nach Weihnachtsmesse getötet

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Schwere Unruhen in Oberägypten nach Anschlag auf christliche Gemeinde. Laut einer Erklärung des Innenministeriums in Kairo soll es sich bei dem Anschlag um eine Racheaktion für ein Verbrechen handeln.

Kairo. Die Mitternachtsmesse zum orthodoxen Weihnachtsfest endete für die koptischen Christen im südägyptischen Nag Hamadi in einem Blutbad. Als sie den Gottesdienst verließen, wurden sie von drei Unbekannten aus einem vorbeifahrenden Fahrzeug mit automatischen Waffen beschossen. Sechs Gottesdienstbesucher und ein muslimischer Wachmann der Kirche wurden getötet.

Am Morgen danach kam es zu schweren Unruhen: Ungefähr 2000 aufgebrachte Kopten versammelten sich vor dem Leichenschauhaus und versuchten, Krankenwagen anzuzünden. Die Behörden weigerten sich die Leichen freizugeben, weil sei befürchteten, dass eine Beerdigung Anlass zu größeren Auseinandersetzungen geben könnte. Die Polizei vertrieb die Menschen, viele von ihnen Verwandte der Toten, mit Tränengas.

Laut einer Erklärung des Innenministeriums in Kairo soll es sich bei dem Anschlag um eine Racheaktion für ein Verbrechen handeln, bei dem letzten November ein 21-jähriger Christ ein zwölfjähriges muslimisches Mädchen vergewaltigt haben soll.

Bischof Kirollos, der der Diözese in Nag Hamadi, eine Autostunde südlich von Luxor, vorsteht, hatte kurz vor dem Attentat die Kirche verlassen. „Ich habe gerade jemandem in einem Hauseingang die Hand geschüttelt, als ich die Gewehrschüsse hörte“, erzählt er. Mehrere Kopten hatten zuvor Todesdrohungen per SMS erhalten. Der Bischof selbst soll ein SMS mit der Botschaft erhalten haben: „Jetzt bist du dran.“

„Niemand steuert entgegen“

Nag Hamadi war schon im November in die Schlagzeilen geraten: Nachdem der mutmaßliche koptische Vergewaltiger verhaftet worden war, verwüsteten muslimische Gangs christliche Läden. Unter den Christen des Ortes ist dieser Tag als „schwarzer Samstag“ bekannt. Die Polizei nahm damals 75 Menschen beider Konfessionen fest.

Doch Kopten beschweren sich, dass die Sicherheitskräfte sich in dem Konflikt nicht neutral verhalten hätten. Die Polizei sei zu spät gekommen. Zudem seien die meisten Muslime aufgrund guter persönlicher Beziehungen zu den lokalen Behörden nach wenigen Tagen freigelassen worden.

Die Christen im Land am Nil, die rund zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen, beschweren sich mit der wachsenden Islamisierung der Gesellschaft immer wieder über Schikanen. Gewaltausbrüche zwischen den konfessionellen Gruppen sind zwar die Ausnahme, nehmen aber in den letzten Jahren zu. „Mit diesen willkürlichen Morden wurde eine Grenze überschritten“, warnt der koptische Sozialwissenschaftler Samir Mourqus im Gespräch mit der „Presse“.

Alltägliche Konflikte würden immer mehr im religiösen Kontext gesehen. „Wenn sich zwei Bürger streiten, dann ist das normal. Wenn aber einer Muslim und der andere Christ ist, dann erhält dieser Streit sofort den Charakter einer konfessionellen Auseinandersetzung“, beschreibt er den Trend. Das Schlimmste sei: „Alle sehen zu, und niemand steuert dieser alarmierenden Entwicklung entgegen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2010)

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