Nordpassage: Chinas neue Arktis-Strategie

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Nordpassage Chinas neue ArktisStrategie(c) AP (JOHN MCCONNICO)
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Das Schmelzen des arktischen Eises eröffnet China neue Handelswege. Die Route von Shanghai nach Hamburg ist an Russlands Nordküste vorbei um 6400 km kürzer als der traditionelle Weg.

Kopenhagen. Seit das Eis im Nordmeer schmilzt und neue Schiffsrouten und enorme Rohstofflager freilegt, wirft auch China begehrliche Blicke auf die Arktis. Noch übt Peking Zurückhaltung, um die Polarstaaten nicht aufzuschrecken. Doch chinesische Offizielle und Wissenschaftler fordern die Entwicklung einer „arktischen Strategie“, um an den vom Klimawandel geschaffenen Möglichkeiten teilzuhaben. Dies geht aus einer Studie des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri hervor, die am Montag in Oslo unter dem Titel „China bereitet sich auf eisfreie Arktis vor“ präsentiert wurde.

„China beginnt, das kommerzielle und strategische Potenzial einer eisfreien Arktis zu erkennen“, sagt die in Peking stationierte Sipri-Forscherin Linda Jakobson. Fast die Hälfte des chinesischen Sozialprodukts sei vom Schiffstransport abhängig.

Eine im Sommer eisfreie Nordostpassage schaffe daher für das Exportland China eine „neue Pforte nach Europa und Nordamerika“. Die Route von Shanghai nach Hamburg ist an Russlands Nordküste vorbei um 6400 km kürzer als der traditionelle Weg durch die südostasiatische Malakka-Straße und den Suezkanal. Zudem haben sich die Versicherungsprämien für die Fahrt durch den Golf von Aden wegen der Piratenüberfälle verzehnfacht. „Wer die arktische Route kontrolliert, kontrolliert die Weltwirtschaft“, prophezeit Li Zhenfu von der Dalian Maritime University.

6400 km kürzer nach Hamburg

Neben den Transportwegen locken die vermuteten Rohstoffvorkommen im Eismeer. Nach Schätzungen der „US Geological Survey“ ruhen dort 30 Prozent der weltweit noch nicht entdeckten Gas- und 13 Prozent der Öllager, dazu Mineralien wie Gold, Silber, Nickel, Chrom, Titan, Wolfram, Kohle und Diamanten.

Die meisten der Bodenschätze liegen in den Wirtschaftszonen der Anrainer, vor allem Russlands, und China fordert keine Besitzrechte. Doch Russland verfügt weder über die Tiefwassertechnologie noch das nötige Kapital, sodass Joint Ventures mit chinesischem Geld und westlicher Technik zu erwarten seien, schreibt Sipri.

Mit Unruhe verfolgt Peking russische Ansprüche, große Teile des Nordpolgebiets als eigenes Territorium zu beanspruchen. Jakobson sieht das Potenzial für „neue internationale Spannungen“, unterstreicht aber auch, dass es bisher keine Anzeichen gebe, dass Moskau die internationalen Spielregeln nicht einzuhalten gedenke.

Chinas Vizeaußenminister Hu Zhengyue fordert die Polaranrainer auf, die „Interessen der Küstenstaaten“ gegenüber den „gemeinsamen Interessen der gesamten Menschheit“ abzuwägen. Der Ozeanologe Guo Peiqing unterstreicht: „Die Polarstaaten müssen erkennen, dass arktische Angelegenheiten nicht nur regionale Themen sind.“

Das offizielle China übt Zurückhaltung: Man verstehe, dass man wegen seiner Größe und des neuen Supermachtstatus Nervosität auslöse und wolle die arktischen Staaten nicht alarmieren, heißt es in dem Rapport. Man fürchtet eine gegen China gerichtete Allianz der Küstenstaaten. Gleichzeitig aber wolle man sich so positionieren, dass man vom Zugang zur Arktis nicht ausgeschlossen werde.

Exorbitante Servicegebühren für die durch die russische Zone passierenden Schiffe würden den Vorteil einer eisfreien Nordostpassage entscheidend vermindern. Auch Treibeis, mangelnde Hafenkapazitäten und die geringe Seetiefe in der Beringstraße werden auf der neuen Route Probleme schaffen.

Gegenseitiges Interesse

Doch Peking habe die zunehmende kommerzielle und strategische Bedeutung der Arktis erkannt, heißt es in der Sipri-Studie, und dies gebe den skandinavischen Ländern wegen ihrer geografischen Lage eine Schlüsselrolle. Jakobson rät, chinesische Vertreter stets zuzuziehen, wenn es um arktische Aspekte gehe, ob dies Klimawandel und Rettungsaktionen betreffe oder Schiffsrouten und Rohstoffverwaltung. Das Interesse ist gegenseitig. Chinesische Politiker sind in der Region häufige Gäste, und von allen diplomatischen Vertretungen in Reykjavik ist die chinesische die größte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2010)

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