Gibt es in Österreich noch ein Asylrecht?

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Ja, meint Fremdenrechtsexperte Wolf Szymanski. Aber es ist "eine Tochter der Zeit, die sich gründlich gewandelt hat". Im Jänner haben 122 Menschen Asyl bekommen. Die Hauptlast tragen in Europa andere Länder.

"Willkommen im freien Westen!" Es muss 1986 oder 1987 gewesen sein, als ein Staatspolizist im Journaldienst im Polizeigebäude am Wiener Schottenring eine Flüchtlingsfamilie aus Rumänien mit diesen Worten in Empfang genommen hat. Die Rumänen waren kurz davor mit dem Schiff über die Donau nach Wien gekommen und suchten, wie sich Wolf Szymanski, damals Polizeijurist und später langjähriger Fremdenrechtsexperte des Innenministeriums, erinnert, hier Asyl.

Ein Vierteljahrhundert später mutet die Vorstellung, die Polizei heißt Flüchtlinge in Österreich willkommen, reichlich fremd an. Weniger deshalb, weil das Asylwesen nicht mehr in die Zuständigkeit der Staatspolizei fällt – Flüchtlinge aus dem „Ostblock“ waren bis zum Fall des Eisernen Vorhangs 1989/90 gefeierte Helden, die auch für die Geheimdienste mehr oder weniger interessante Informationen liefern konnten. Selbst die „Kronen Zeitung“, die erst vergangene Woche „Aus Angst vor Ostbanden: Hilferuf nach sicherer Grenze“ titelte, widmete noch im Juli 1986 den Ostflüchtlingen und ihren Helfern einen bewundernd-freundlichen Drei-Seiten-Bericht („Auf tollkühnen Wegen in die Freiheit“).

Die von Kriminalitätsängsten beherrschte Diskussion über den Umgang mit Asylwerbern kreist heute eher um die – kriminalpolizeiliche – Frage, wo und wie lange man sie anhalten könne. Nachdem das Projekt eines neuen Aufnahmezentrums im burgenländischen Eberau wegen breiter Ablehnung durch die Bevölkerung gestorben ist, verhandelt das ÖVP-geführte Innenministerium jetzt mit dem Koalitionspartner SPÖ nur noch über eine „Anwesenheitspflicht“ von Asylwerbern für bestimmte Zeit.

Vorbei sind die Zeiten, als Österreich hunderttausende Flüchtlinge aus Ungarn (1956), der ČSSR (1968) oder Bosnien (Anfang der 1990er) aus humanitären Gründen vorübergehend oder auf Dauer aufgenommen hat. Haben Menschen, die in Österreich Asyl suchen, heute überhaupt noch eine Chance, aufgenommen zu werden? Zumindest länger, als bis geklärt ist, dass Österreich für ihren „Fall“ nicht zuständig ist und die Fremden, wenn schon nicht in ihr Heimatland, dann wenigstens in einen dritten Staat zurückverfrachtet werden können?

Die Chance ist klein, aber vorhanden. Im heurigen Jänner etwa haben genau 122 Menschen Asyl bekommen. Die Zahl der Anträge ist, nach einem Anstieg 2009, im Jänner stark gesunken, um 33,5 Prozent gegenüber dem Vergleichsmonat 2009. Wer glaubt, es gäbe heute überhaupt kein Asyl mehr in Österreich, liegt ebenso falsch, wie jene, die behaupten, es suchten nur Kriminelle darum an. „Das Asylrecht ist eine Tochter der Zeit, die sich gründlich gewandelt hat“, sagt Szymanski.

Einer der heute bestimmenden Faktoren ist die Dublin-Verordnung: Sie sieht vor, dass jeder Asylwerber, der in die EU kommt, in der gesamten Union nur in einem Staat Asyl beantragen darf; nicht etwa in dem, den er sich aussucht und in dem er sich die größten Chancen ausrechnet, sondern in dem, über den er eingereist ist. Allen Klagen über die negativen Folgen der Ostöffnung – allen voran ein Anstieg der Kriminalität im Osten des Landes – zum Trotz hat Österreich davon profitiert, dass die Außengrenzen der EU sich nach Süden und Osten verschoben haben.

Den größten Andrang an Asylsuchenden haben andere Länder zu bewältigen, etwa die Mittelmeeranrainer, wo Jahr für Jahr tausende Bootsflüchtlinge landen. Die einzelnen EU-Länder kommen damit eher schlecht als recht zu Rande. In Griechenland etwa ist die Lage für Asylwerber so elend – sogar von einer Notversorgung ist keine Rede, es gibt Übergriffe von Polizei und Privaten –, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht Abschiebungen dorthin vorläufig gestoppt hat.

Ein Flüchtling, der sein Asylverfahren in Österreich haben will, müsste also entweder mit dem Flugzeug einreisen oder gleichsam vom Himmel fallen, um nicht dem Vorwurf ausgesetzt zu sein, er hätte schon zuvor in einem anderen Land Asyl suchen können. Oder er lässt sich von einem Schlepper einschleusen und vermeidet peinlichst jede Spur, die auf ein EU-Transitland hindeutet.

Eine Spur ist etwa, wenn ihm bereits in einem anderen EU-Land Fingerabdrücke abgenommen wurden, die im zentralen „Eurodac“-Computer in Straßburg gespeichert werden. „Es gibt praktisch keinen entwickelten Staat mehr, in den man als Flüchtling kommen kann, ohne geschleppt zu werden“, sagt Szymanski. Die Schlepperei gilt, ähnlich dem Drogenhandel, weltweit als einer der einträglichsten illegalen Geschäftszweige. Insoweit sind strenge Asylgesetze oder eine desolate Betreuungssituation Signale, auf die Schlepperorganisationen sofort reagieren, indem sie die Geschleppten woanders hinbringen.

In Österreich benötigt man als Asylsuchender eine gute und glaubwürdige Begründung, warum man Schutz braucht: Warum man, wie es in der Genfer Flüchtlingskonvention heißt, „wohlbegründete Furcht“ hat, „aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden“.

In einem schmucklosen Raum im ersten Stock des Asylgerichtshofs in Wien Favoriten erzählt der aus Syrien stammende A. vor einem Senat aus einem vorsitzenden Richter und einer Beisitzerin seine Geschichte. Er habe, so übersetzt der Dolmetscher zu seiner Rechten, als Christ eine muslimische Frau geheiratet – in Syrien strengstens verboten und mit schärfsten sozialen Sanktionen bis hin zur Blutrache bedroht. Nach der Hochzeit im Libanon zog er mit seiner Frau in ein Dorf fern vom Heimatort der beiden. Doch die Familie seiner Frau stellte dem Paar nach. Als die beiden eines Tages zum Busbahnhof gehen, lauert ihnen sein Schwager auf. Und schießt die eigene Schwester mit drei Schüssen nieder, A. wird durch sieben Schüsse verletzt.

Der Täter wird wegen des Ehrenmordes bloß zu neun Monaten Gefängnis verurteilt, schon nach sechs Monaten kommt er frei. Das entspricht, sagt A. mit seinen Zeigefingern auf dem Tisch die Kürze der Zeitspanne andeutend, der Rechtslage im arabischen Raum. Weil er damals gehört hat, dass der Vater seiner getöteten Frau sich den Bart abrasiert hat und nicht wieder wachsen lassen will, solange er, A., am Leben ist, sucht er noch einmal das Weite und übersiedelt nach Beirut. Auch dort spürt ihn die Familie seiner Frau auf. Aus Angst um sein Leben vertraut A. sich einem Schlepper an und lässt sich nach Europa bringen.

Nur einmal, als der Vorsitzende ihn noch einmal nach der Beziehung zu seiner Frau befragt, wird A. emotional: „Warum sind Sie so böse auf mich?“, empört er sich. Der Vorsitzende lächelnd: „Ich bin gar nicht böse, aber es sitzen auch sehr viele Asylwerber hier, die keine wahre Geschichte erzählen.“ Nach einer kurzen Unterbrechung informiert er A., dass der Senat versuchen werde, die Wahrheit einiger seiner Angaben zu überprüfen. A. sagt, er hoffe, hier bleiben zu können. Darauf der Vorsitzende: „Wenn die Geschichte stimmt, haben Sie sowieso gewonnen.“

Nicht immer sind die Richter am Asylgerichtshof mit einer so „asylnahen“ Geschichte konfrontiert, die Mitgefühl weckt. In anderen Fällen zeigen sie sich den Asylsuchenden gegenüber weniger offen. Im Juli 2008 eingerichtet, um den Verwaltungsgerichtshof zu entlasten, behandelt der Asylgerichtshof nicht nur neue Beschwerden gegen Entscheidungen des Bundesasylamts; er arbeitet auch viele tausend, als „Rucksack“ bezeichnete, Altfälle ab, die sich bei seinem Vorgänger, dem Unabhängigen Bundesasylsenat, und beim Verwaltungsgerichtshof aufgestaut haben. Im „Geschäftsjahr 2009“ konnte der Gerichtshof eigenen Angaben zufolge 15.100 Beschwerdeverfahren abschließen, während nur 10.400 neue Fälle hinzugekommen sind.

Ein weiterer Rucksack-Fall – seit sechs Jahren anhängig – wird im 2. Stock des Asylgerichtshofs noch einmal ausgebreitet. Herr T. ist, ebenfalls durch Schlepper, aus Kamerun nach Österreich gekommen. Er erzählt, dass er in seiner Heimat in der Bar seiner Eltern gearbeitet habe. Er sei zweimal eingesperrt worden, weil in der Bar Mitglieder einer Organisation zusammengekommen seien, die eine Abtrennung des englischsprachigen Teils Kameruns vom frankofonen betreibe. T. verwickelt sich in Widersprüche, die vorsitzende Richterin lässt ihn nicht nur durch ihre Körpersprache – mehrmals verschränkt sie ihre Arme – erkennen, dass sie ihm nicht glaubt: „Die Angaben passen für mich nicht einwandfrei zusammen“, sagt sie. Diverse Unterlagen – bis hin zum Haftbefehl, den T. aufgetrieben haben will – haben sich als plumpe Fälschungen erwiesen.

T. hat sehr bald mit einer – wohl abschlägigen – Entscheidung zu rechnen. Wohlweislich hat die Richterin schon den Stand seiner Integration in Österreich erfragt – und herausgefunden, dass der arbeitslose Mechaniker erst jetzt, im sechsten Jahr seines Aufenthalts, einen Deutschkurs begonnen hat und im November 2009 mit einer Österreicherin eine Tochter bekommen hat. Das dürfte zu wenig sein, um – Stichwort Recht auf Privat- und Familienleben – einer Abschiebung nach Kamerun entgegenzustehen.

Der Fall scheint in der Tat ziemlich klar. Die Behörden wissen auch, dass kriminelle Organisationen gerade aus Schwarzafrika oft vorgebliche Flüchtlinge mit immer gleichen „Geschichten“ nach Europa schleusen, um über sie Drogen unters Volk zu bringen. Das schließt nicht aus, dass auch Menschen dunkler Hautfarbe Asyl verdienen können, nur müssen gerade sie, wie Flüchtlingsanwalt Wilfried Embacher formuliert, „erst einen Generalverdacht ausräumen“.

Embacher: „Atmosphärisch wird alles getan, um gegen Asylwerber Stimmung zu machen.“ Jede Verschärfung der Gesetze treffe auch die grundlos Verdächtigten. Umso mehr gelte es, so appelliert Szymanski, als Mitarbeiter einer Asylbehörde einen „wachen Geist für wahre Geschichten“ zu behalten.

„Die Qualität eines Asylverfahrens ist nicht danach zu beurteilen, wie man mit besonders sympathischen Menschen umgeht.“ Embacher und Szymanski halten es für einen schweren Fehler, dass der Verwaltungsgerichtshof seit Bestehen des Asylgerichtshofs praktisch gänzlich aus dem Spiel ist. Embacher: Der Asylgerichtshof, in dem viele Ex-Mitarbeiter der Sicherheitsverwaltung sitzen, spiegle die Bevölkerung wider. „Es gibt alles, vom Hardliner bis zum sehr offenen Mitglied.“ Nur fehle eben die Nachprüfung durch den auch mit anderen Materien befassten VwGH, der einen strukturell weniger befangenen Blick habe. Freilich habe auch der VwGH einen „zentralen Fehler“ begangen, indem er Beschwerden in Asylsachen reflexhaft aufschiebende Wirkung zuerkannt und damit einen Anreiz zur Verfahrensverzögerung durch Asylwerber geschaffen habe.

Szymanski ruft auch die Medien auf, einen humanen, menschenrechtskonformen Umgang mit Hilfesuchenden nicht zu hintertreiben: Die Medien haben die Verantwortung, den Bürgern Information statt Vorurteile zu bieten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Eberau: Volksbefragung für SPÖ weiter notwendig
Politik

Eberau: Volksbefragung für SPÖ weiter notwendig

Die Sozialdemokraten verteidigen die für den 21. März angesetzte Volksbefragung im Südburgenland zum geplanten Asylzentrum. Die ÖVP kontert: "Das Zentrum ist längst vom Tisch".

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.