Die neue Atomdoktrin der Vereinigten Staaten

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US-Präsident Obama setzt einen ersten Schritt, um seine Vision von einer atomwaffenfreien Welt zu verwirklichen. Der neue Abrüstungsvertrag sieht eine Obergrenze von 1550 Kernsprengköpfen vor.

Wien/Washington DC. Präsident Barack Obama hat am Dienstag die mit Spannung erwartete neue Nuklearstrategie der USA („Nuclear Posture Review“) präsentiert. Obama versteht diese Strategie als ersten Schritt zu seiner vor einem Jahr in Prag präsentierten Vision einer atomwaffenfreien Welt; weitere Schritte sollen folgen.

Inzwischen hat Obama in der Weltöffentlichkeit bereits viel Applaus und Unterstützung für sein Streben nach Abschaffung aller Kernwaffen erhalten, „Gobal Zero“ ist zu einem geflügelten Wort geworden, dem sich viele prominente (Alt-)Politiker angeschlossen haben. Gerade dafür wurde ihm im vergangenen Dezember auch der Friedensnobelpreis überreicht. Freilich war Obama Realist genug, als er bereits in Prag eingestanden hatte, dass es zu seinen Lebzeiten keine atomwaffenfreie Welt geben werde.

Das sind nun Kernpunkte der neuen US-Nuklearstrategie:

1. Rolle von Atomwaffen wird heruntergestuft

Obama will die bisherige Rolle, die Kernwaffen bei der Abschreckung von äußeren Angriffen hatten, beschneiden. Atomwaffen wird in der neuen Strategie zwar noch eine „wesentliche Rolle“ bei der Abschreckung von Angriffen auf die USA und der Reaktion darauf eingeräumt. Zum Einsatz kommen sollen sie in erster Linie aber nur dann, wenn die USA mit Atomwaffen angegriffen werden. Dafür will Obama die Rolle von konventionellen Waffen für die Verteidigung des Landes bedeutend stärken.

Zugleich sollen sich Länder wie Nordkorea und der Iran, die umstrittene Atomwaffenprogramme betreiben, ja nicht sicher fühlen können: „Wir werden alle Instrumente, die für den Schutz und die Sicherheit des amerikanischen Volkes notwendig sind, beibehalten.“

2. Einschränkungen des atomaren Ersteinsatzes

„Erstmals erklären die USA, dass sie Kernwaffen nicht gegen Staaten einsetzen werden, die selbst keine Nuklearwaffen besitzen“, erläuterte Obama. Auch wenn die USA von Nichtkernwaffenstaaten mit biologischen oder chemischen Waffen angegriffen werden, will Washington nicht mit dem Einsatz von Atomwaffen reagieren. Genauso wenig sollen Kernwaffen eine militärische Antwort auf einen massiven Cyberangriff sein.

Allerdings: Sollte den USA ein verheerender Angriff mit biologischen Waffen drohen, soll es laut der neuen Nuklearstrategie doch die Option geben, die Verpflichtung zum Nichtersteinsatz von Atomwaffen zu überdenken.

3. Keine Entwicklung von neuen Nuklearwaffen

Die USA wollen zwar ihre Investitionen erhöhen, um die Infrastruktur ihrer atomaren Streitmacht auf dem neuesten Stand halten zu können. Aber sie wollen keine neuen Nuklearwaffen entwickeln. Das ist eine Abkehr von der Nuklearstrategie, die die Regierung von George W. Bush 2002 veröffentlicht hatte. Die Bush-Regierung hatte zum Beispiel noch auf die Entwicklung von „Bunker-busters“ gesetzt – taktischen Atomgeschossen, die tief in den Boden eindringen und unterirdische Anlagen zerstören können; auch gab sie die Entwicklung von sogenannten „Mini-Nukes“ in Auftrag, das sind Kernwaffen mit einer Sprengkraft unter fünf Kilotonnen.

4. Tür auf für weitere Abrüstungsschritte

Obamas Nuklearstrategie bildet die ideelle Grundlage für weitere Reduzierungen im amerikanischen Atomwaffenarsenal. Der neue Abrüstungsvertrag, der am Freitag in Prag unterzeichnet wird, sieht für die USA und für Russland eine Obergrenze von 1550 Kernsprengköpfen vor. Nach Ansicht von US-Experten ist das noch immer viel zu viel. Sie meinen, dass durch die Neuausrichtung der Nuklearstrategie, die Modernisierung der atomaren Infrastruktur und durch die Außerdienststellung von veralteten Kernsprengköpfen ein noch viel größeres Potenzial für nukleare Abrüstung vorhanden wäre. Auch Obama selbst hält weitere „dramatische Reduzierungen“ im amerikanischen Atomwaffenarsenal für durchaus möglich.

5Eine nächste Aufgabe:

Taktische Atomwaffen

Die Frage eines konkreten Abzugsdatums der noch in Europa lagernden taktischen Atomwaffen (nukleare Gefechtsfeldwaffen) der USA wird in der neuen Strategie nicht direkt angesprochen. Derzeit lagern noch zwischen 150 und 200 solcher taktischer Kernwaffen in Europa. Es handelt sich dabei vor allem um Atombomben des Typs B-61, die in der Bundesrepublik Deutschland (zehn bis 20 auf dem Luftwaffenstützpunkt Büchel), in Belgien, den Niederlanden, Italien und in der Türkei gelagert sind.

Die Außenminister Deutschlands, Belgiens, Luxemburgs, der Niederlande und Norwegens haben bereits darum gebeten, die ganze Frage der Nuklearpolitik der Nato auf die Tagesordnung des nächsten Außenministertreffens der Allianzmitglieder am 22./23.April in Tallinn zu setzen. In Deutschland ist sogar im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass die amerikanischen Atombomben als „Relikte des Kalten Krieges“ von deutschem Boden verschwinden sollten.

Obama will laut US-Medienberichten die Frage der Rolle der nuklearen Gefechtsfeldwaffen erst mit den Nato-Verbündeten besprechen. Danach will er über diese Waffen auch mit Russland verhandeln, das viel mehr taktische Atomwaffen als die USA in seinen Arsenalen gelagert hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 7. April 2010)

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