Nato: Braucht Europa US-Kernwaffen?

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Kommt es beim Nato-Außenministertreffen in Tallinn tatsächlich zum großen Streit um die noch in Europa lagernden 180 bis 300 amerikanischen taktischen Atomwaffen, wie manche Deutsche bereits unheilvoll prophezeien?

WIEN/TALLINN.  Angekündigte Revolutionen finden bekanntlich selten statt, und so brennend scheint das Thema nicht zu sein, dass es andere wichtige Themen des Nato-Treffens wie den Afghanistan-Einsatz und das neue strategische Konzept der Allianz überlagern wird.

Obwohl, für den deutschen Außenminister Guido Westerwelle ist es eine „Herzensangelegenheit“, dass die letzten zehn bis 20 nuklearen Gefechtsfeldwaffen von deutschem Boden verschwinden. Er hat dieses Ziel erfolgreich in den Koalitionsvertrag mit der CDU hineinreklamiert. Und er hat zusammen mit seinen Ministerkollegen aus den Benelux-Staaten und Norwegen in einem Brief den Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen dazu gedrängt, das Thema des weiteren Abbaus der taktischen Kernwaffen auf die Tagesordnung von Tallinn zu setzen.

Transatlantische Klammer

Der Abzug der letzten US-Atomwaffen würde in der überwiegenden Mehrheit der deutschen und wohl auch der belgischen und niederländischen Bevölkerung mit Freude aufgenommen werden. Dennoch ist die CDU in dieser Frage zurückhaltender als die FDP.

Die Christdemokraten bestehen darauf, dass der Abzug nur in enger Abstimmung mit den Amerikanern und den anderen Nato-Verbündeten erfolgen könne. Abgesehen davon, dass die europäischen Kernwaffenstaaten Großbritannien und Frankreich eine viel weniger emotionale Einstellung zur Atomrüstung haben, gibt es auch noch andere Nato-Staaten, die in den Beständen der taktischen US-Kernwaffen in Europa und der damit verbundenen „nuklearen Teilhabe“ europäischer Alliierter eine wichtige Verbindungsklammer für die transatlantische Allianz sehen. Seien die US-Kernwaffen einmal weg, sei auch der Zusammenhalt des Bündnisses geschwächt.

Teilweise dieselben Nato-Staaten weisen auch auf die Tatsache hin, dass Russland noch immer 2000 bis 4000 taktische Kernwaffen habe und man dagegen ein gewisses nukleares Abschreckungspotenzial auf Nato-Seite beibehalten müsse. Nukleare Gefechtsfeldwaffen haben Reichweiten von 15 bis 100 Kilometern, Atombomben können mit Flugzeugen natürlich an noch viel weiter entfernte Ziele gesteuert werden. Ergo sehen vor allem die baltischen und mittelosteuropäischen Nato-Staaten die russischen Gefechtsfeldwaffen als Gefahr an. Doch für den russischen Botschafter bei der Nato, den Oberfalken Dmitrij Rogosin, ist die Sache einfach: Die USA müssten wie Russland die taktischen Atomwaffen auf ihr Hoheitsgebiet zurückverlegen, erst dann könne man über die Zukunft dieser Waffensysteme verhandeln.

„Wird keinen Alleingang geben“

Darauf wird die Nato nicht eingehen. Immerhin betonen die USA in der Anfang April veröffentlichten neuen Nukleardoktrin ihre Bereitschaft, taktische Atomwaffen in künftige Abrüstungsverhandlungen mit Russland einzubeziehen. Und: „Die USA werden sich mit den Verbündeten über die künftige Stationierung von Atomwaffen in Europa beraten und im Rahmen der Nato eine Entscheidung im Konsens herbeiführen.“

Für Nato-Generalsekretär Rasmussen sind zwei Dinge klar: „Erstens, kein Nato-Staat wird in dieser Frage einen Alleingang unternehmen. Zweitens: Solange es Atomwaffen in der Welt gibt, wird die Nato ein nukleares Abschreckungspotenzial brauchen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2010)

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