Bartoszewski: "Psychologischer Umbruch in Russland"

(c) Clemens Fabry
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Polens Ex-Außenminister Bartoszewski hofft auf eine Aussöhnung.

WIEN. Władysław Bartoszewski, mehrere Jahre polnischer Außenminister, davor Botschafter in Wien, sieht derzeit gute Voraussetzungen für eine Entspannung und Neuordnung des traditionell heiklen Verhältnisses zwischen Warschau und Moskau. Als Grund nennt er im Gespräch mit der „Presse“ den „psychologischen Umbruch“ in Russland bei der Bewältigung der Stalin-Ära.

„Auf der Ebene einer Idealisierung Stalins und des Verschweigens seiner Verbrechen können Polen und Russen nicht zusammenfinden. Aber wenn wir jetzt erste Schritte hin zu einem offiziellen Eingeständnis von historischer Schuld sehen, so kann das zur Grundlage einer guten Partnerschaft mit Russland werden. So, wie einst das Eingeständnis der Verbrechen des Hitler-Regimes durch die Bundesrepublik Deutschland die Basis für die deutsch-polnische Aussöhnung war“, erklärt Bartoszewski, ein Verfolgter der nationalistischen wie auch der kommunistischen Terrorherrschaft.

„Katyn-Film war eine Offenbarung“

Dass sich der polnische und der russische Premier, Donald Tusk und Wladimir Putin, nach der Flugzeugkatastrophe vom 10.April in Smolensk, bei der ein Teil der polnischen Elite ums Leben kam, umarmten, will Bartoszewski zwar nicht überbewerten. Dass aber zuletzt Dokumente über die Liquidierung von 22.000 polnischen Offizieren und Intellektuellen durch Stalins Geheimpolizei im Frühjahr 1940 in Katyn auf Geheiß des Kreml im Internet veröffentlicht wurden, und dass nach der Smolensk-Katastrophe der Katyn-Film von Andrzej Wajda zur besten Sendezeit im Ersten russischen TV-Kanal gezeigt wurde, nennt der Historiker Bartoszewski eine „riesige Sensation“: „Für die Russen war Wajdas Film wie eine Offenbarung. Denn dass die Massenmorde von Katyn nicht von den Deutschen, sondern von Sowjetrussen begangen worden waren, steht nicht in ihren Geschichtsbüchern.“

Bartoszewski, als Staatssekretär im Ministerpräsidentenamt für die Beziehungen zu Deutschland zuständig, berichtet, dass die russischen Signale an Polen auch in Berlin auf ein positives Echo gestoßen seien. „Bei meinen jüngsten Besuchen in Deutschland wurde das russische Verhalten mit großer Zufriedenheit kommentiert, weil es die Chance für ein ruhigeres Klima in den Beziehungen zu Russland eröffne.“

Für Polens heikle geopolitische Lage zwischen den beiden großen Nachbarn Russland und Deutschland, die sich in der Geschichte wiederholt über die Köpfe der Polen hinweg arrangierten, ergibt sich aus den jüngsten Entwicklungen eine einzigartige Situation. Bartoszewski zählt auf: „Ein entspanntes Verhältnis zu Russland, Deutschland als enger Verbündeter, eine ruhige Grenze und sehr gute Beziehungen zu unseren EU- und Nato-Partnern Tschechien, der Slowakei und Litauen, ein formell gutes Verhältnis zur Ukraine, wobei man die weitere Entwicklung dort sicher genau beobachten muss. Größere Probleme haben wir nur mit Weißrussland. Aber wer in Europa kann schon mit Lukaschenko...“
Bartoszewski im Nationalrat, Seite4

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2010)

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