Thailand: Protest wächst sich zur Volksbewegung aus

(c) EPA (NARONG SANGNAK)
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Immer mehr arme Thais schließen sich den Rothemden an. Die Armee schießt weiter scharf. Ein Regierungssprecher erklärte, die verbliebenen Demonstranten würden nun als Straftäter angesehen und entsprechend behandelt.

Eine beunruhigende Stille liegt am Montagabend über Bangkok. Normalerweise erwacht die Stadt erst nach Sonnenuntergang zu vollem Leben. Jetzt sind die Straßen menschenleer. Nur wenige Autos und Motorräder sind zu sehen. Die Regierung hat Montag und Dienstag zu Feiertagen erklärt und die Menschen ersucht, daheimzubleiben.

Die einzigen größeren Gruppen in den Straßen von Thailands Hauptstadt sind Demonstranten. Etwa 5000 Anhänger der „Einheitsfront für Demokratie gegen Diktatur“, vulgo „Rothemden“, sind im Zentrum weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten. Doch immer mehr Anhänger der „Rothemden“ versammeln sich überall in der Stadt zu spontanen Protesten. Sie zünden Reifenstapel an, legen Steine zurecht und warten auf die Konfrontation mit der Armee.

Am Victory Monument, einem großen Kreisverkehr am Rand der Innenstadt, das in den vergangenen Tagen immer wieder zum Schauplatz spontaner Zusammenstöße geworden ist, haben sich am Abend hunderte Demonstranten versammelt. Der Rohbau eines Appartementhauses geht dabei in Flammen auf. Offenbar schließen sich immer mehr Anwohner von Bangkok, vor allem Arbeiter und Mitglieder der unteren Mittelschicht, den Demonstranten an. Die Proteste, von einer politischen Gruppe ins Rollen gebracht, wandeln sich in atemberaubender Geschwindigkeit zu einer generellen Erhebung armer Thais.

Wenige folgten Ultimatum

Nur wenige Demonstranten sind dem Ultimatum der Regierung gefolgt, ihr Protestcamp bis Montag 15Uhr zu räumen. An den Rändern des riesigen Lagers, das seit über einem Monat das wirtschaftliche Leben in Bangkoks teuerster Einkaufsgegend zum Stillstand gebracht hat, greifen nach wie vor militante Demonstranten Soldaten mit Steinen und Molotowcocktails an. Diese schießen immer häufiger scharf zurück.

Ein Sprecher der Regierung erklärte, die verbliebenen Demonstranten würden nun als Straftäter angesehen und entsprechend behandelt. Sie würden festgenommen und vor Gericht gestellt, wobei ihnen zwei Jahre Haft drohen. Den „Terroristen“ unter den Demonstranten drohte er lebenslange Haft an. Wer alles unter diese Kategorie fällt, sagte er nicht. Wie unter diesen Bedingungen noch jemand das Camp freiwillig verlassen soll, erklärte er ebenfalls nicht.

Eine scheinbar unlösbare Pattsituation ist eingetreten. Die Anführer der Rothemden erklärten, sie würden mit der Regierung über ein Ende der Proteste verhandeln, sobald die Soldaten, die die Demonstranten eingekesselt haben, abzögen. Die Regierung beharrt darauf, dass es erst Gespräche geben wird, wenn die Rothemden ihre Proteste einstellen.

Die allgemein nervöse Stimmung in der Stadt wurde am Montag dadurch verstärkt, dass der Notfallstab von Regierung und Armee SMS an viele Einwohner in Bangkok geschickt hat. Darin stand: „Terroristen greifen die Behörden, Demonstranten, Journalisten und die allgemeine Öffentlichkeit an. Wir ersuchen alle, das Camp der Demonstranten zu verlassen.“ Beobachter vor Ort konnten nichts dergleichen ausmachen.

Dennoch setzten sich die schweren Zusammenstöße am Montag fort. Auf der Straße, die das Camp der Rothemden vom Finanzdistrikt Silom trennt, feuerte die Armee den ganzen Tag über mit scharfer Munition in Richtung der Demonstranten, um sie auf Distanz zu halten. Diese entführten im Gegenzug einen Tanklaster, parkten ihn zwischen sich und den Armeestellungen und drohten, ihn in die Luft zu sprengen.

Vergleich mit Sarajewo

Ein Kommentator zog den Vergleich zwischen Bangkok und dem Sarajewo der 90er-Jahre. Der Vergleich erscheint überzogen; doch die Zahl von 36 Toten und hunderten Verletzten seit Donnerstag legt solche Assoziationen nahe. Der Konflikt rückt das Land fortwährend näher an den Abgrund.

Der internationale Druck auf die Regierung von Premier Abhisit, die offenbar versucht, das Chaos auszusitzen, nimmt deswegen weiter zu. Die Organisation Human Rights Watch(HRW) kritisierte die Ausrufung von Scharfschuss-Zonen an den Rändern des Protestcamps scharf.

Von internationaler Vermittlung will Thailands Regierung derweil weiter nichts wissen, am Montag erteilte sie dieser Möglichkeit erneut eine klare Absage.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2010)

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