Experte: "Türkei spielt die islamische Karte"

Experte:
Experte: "Türkei spielt die islamische Karte"(c) Reuters (Umit Bektas)
  • Drucken

Der Experte Hüseyin Bagci sieht darin keine Abwendung vom Westen, da die Türkei selbst nie islamistisch war. Die EU bleibe ein wichtiger Faktor für die Demokratisierung der Türkei.

"Seit 2003 ist die türkische Außenpolitik europäisch, sie folgt nicht mehr den USA." Dies betonte Hüseyin Bagci, Professor aus Ankara am Dienstag bei einem eintägigen Seminar in der Landesverteidigungsakademie Wien zum Thema "Neue strategische Orientierung der Türkei".

Gleichzeitig "spielt die Türkei die islamische Karte", sagte Bagci in Anspielung auf Ankaras Aussöhnung mit Nachbarn (Syrien), Vermittlung (Iran) und Kooperation mit der arabischen Welt. Darin sieht der Experte jedoch keineswegs eine Abwendung vom Westen.

"Die Türkei war nie islamistisch"

Die EU bleibt laut Bagci ein wichtiger Faktor für die Demokratisierung der Türkei, obzwar die Menschen nicht mehr auf einen EU-Beitritt setzen, auf dem wiederum die AKP-Regierung beharrt. Ankara bleibe auf Reformkurs. Die gemäßigt islamische Regierung unter Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan habe aber auch erkannt, dass "die islamische Karte ein Trumpf ist". In diesem Zusammenhang verwies Bagci auch auf den Umstand, dass die arabische Welt im Gegensatz zu früher nicht mehr über große politische Führer verfüge. In dieses Vakuum möchte Ankara stoßen - als globaler oder zumindest regionaler Akteur mit "soft powers".

Dennoch sieht Bagci die Türkei weder auf einem "neo-ottomanischen Weg", wie die von Erdogans Intimus, Außenminister Ahmet Davutoglu geformte Außenpolitik Ankaras oft charakterisiert wird, noch auf einem islamistischen Weg. "Die Türkei war nie islamistisch, auch nicht unter dem Osmanischen Reich." Sehr wohl aber wolle die Türkei nun als Friedensmacher auftreten, und sie könne seit der islamischen Radikalisierung punkten. Als negativ werde diese Entwicklung nur von Auslands-Türken empfunden, die jetzt in erster Linie als Muslime wahrgenommen werden.

"Türkei hat ihren Platz noch nicht gefunden"

Eugene Kogan, Gastforscher am Internationalen Institut für Liberale Politik in Wien (IILP), setzte sich in seinem Referat mit der Position der Türkei in der NATO auseinander. Sein Resümee: "Die Türkei hat ihren Platz noch nicht gefunden." Das Land am Bosporus sitze als NATO-Mitglied "am Hebel", wenn es um NATO-EU-Beziehungen gehe. In konkreten Fällen benehme sie sich aber "ungeschickt" - wie bei der Kür des jetzigen NATO-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen (aus Dänemark, dem Land der Mohammed-Karikaturen, Anm.), den Ankara anfangs abgelehnt hatte.

Auch im Verhältnis Türkei-Russland ist für Kogan die Sache noch nicht gelaufen. In der Schwarzmeer-Region - Thema einer Studie Kogans von November 2008 - haben beide Staaten ähnliche Interessen. Die "Chemie" zwischen den Regierungschefs Wladimir Putin und Erdogan stimme, was sich zuletzt auch in einer Reihe von bilateralen Abkommen niederschlug, doch Moskau achte in jeder Partnerschaft auf seinen Vorteil: "Ankara sieht die versteckte Agenda nicht." Kogan stellte das Szenario in den Raum, dass Russland die Türkei von der NATO wegziehen könnte.

Russisch-türkisches Militärbündnis "unmöglich"

Dem widersprach Bagci, der gegenwärtig an der Berliner Humboldt-Universität lehrt. Er schloss ein mögliches militärisches Bündnis zwischen Moskau und Ankara als "politisch und militärtechnisch unmöglich" aus. Kogan verwies seinerseits auf die starke Energieabhängigkeit der Türkei von Russland. Andererseits sehe der Iran in Russland einen gewissen Schutz. Enttäuschung über die EU könnte die drei Nachbarstaaten näher zusammenführen, zumal alle drei parallele Interessen in der Region hätten - in Zentralasien und besonders gegenüber China.

IILP-Präsident Erich Reiter rief die Kooperations-Verweigerung Ankaras vor dem US-Einmarsch im Irak in Erinnerung und meinte, für die USA sei die Türkei immer nur "ein Schönwetter-Verbündeter" gewesen.

(APA)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.