Libyen und die Schweiz begraben das Kriegsbeil

Libyen Schweiz begraben Kriegsbeil
Libyen Schweiz begraben Kriegsbeil(c) EPA (SABRI ELMHEDWI)
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Die Schweizer Außenministerin und ihr lybischer Kollege unterschrieben am Sonntag ein Abkommen zur Normalisierung der Beziehungen. Der inhaftierte Schweizer Max Göldi darf heim.

Tripolis/BERN. Plötzlich ging dann alles sehr schnell: Die Schweizer Außenministerin Micheline Calmy-Rey reiste am Samstagabend überraschend in die libysche Hauptstadt Tripolis und traf sich am Sonntagvormittag mit ihrem libyschen Kollegen Moussa Koussa. Wenige Stunden später unterzeichneten die zwei ein Abkommen zur Normalisierung der seit Längerem völlig zerrütteten Beziehungen zwischen den beiden Staaten.

Demnach sollte der in Libyen inhaftierte Schweizer Geschäftsmann Max Göldi noch in der Nacht auf Montag in die Schweiz zurückkehren dürfen. Göldi wurde am Donnerstag nach einer viermonatigen Haftstrafe wegen angeblicher Verletzungen von Visabestimmungen aus einem libyschen Gefängnis entlassen. Bereits vor seiner Haft war er mit einem zweiten Landsmann eineinhalb Jahre lange in Libyen festgehalten worden.

Neben Calmy-Rey war zum Wochenende auch der spanische Außenminister und EU-Ratspräsident Miguel Ángel Moratinos in Libyen; er wohnte der Unterschriftenzeremonie von Koussa und Calmy-Rey als Zeuge bei und deutete einen Besuch von Spaniens Premier Zapatero in Libyen noch in diesem Monat an.

Zudem hieß es am Sonntagnachmittag, Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi werde nach Tripolis fliegen und den Schweizer Geschäftsmann außer Landes bringen. Und auch Sloweniens Premier Borut Pahor wollte am Sonntag nach Libyen reisen: Aus der Laibacher Regierungskanzlei hieß es, man habe bei den Bemühungen um Göldis Freilassung eine wichtige Rolle gespielt.

Das Motiv: Rache

Hintergrund der seltsamen Angelegenheit ist die Rache von Libyens Machthaber Muammar al-Gadhafi für die kurzzeitige Verhaftung seines Sohnes Hannibal vor zwei Jahren in Genf. Dieser soll dort in einem noblen Hotel zwei Hausangestellte misshandelt haben und wurde daraufhin vorübergehend festgenommen.

Der in seiner Familienehre schwerst gekränkte libysche Staatschef Gadhafi trat dann eine schwere diplomatische Krise los: Er forderte sogar vor der UNO die Aufteilung der Schweiz an deren Nachbarländer und zog sein Milliardenvermögen aus Schweizer Safes ab.

Aufteilung der Schweiz gefordert

Nach fast zwei Jahren langwierigen Verhandelns und zahlloser Demütigungen der Schweiz durch Gadhafi haben beide Länder nun Frieden vereinbart. Demnach soll ein unabhängiges Schiedsgericht die Umstände der Verhaftung des Gadhafi-Sohnes untersuchen. Zudem entschuldigt sich die Schweiz für die „unrechtmäßige“ Veröffentlichung von Polizeifotos des verhafteten Hannibal in einer Genfer Zeitung und sagt zu, die Verantwortlichen zur Verantwortung zu ziehen.

Damit hat die Schweiz alte Forderungen der Gadhafis erfüllt. Freilich nicht zum ersten Mal: Schon im Sommer 2009 hat der damalige Schweizer Bundespräsident Merz einen Vertrag mit Libyen unterzeichnet, wonach ein Schiedsgericht die Verhaftung von Hannibal untersuchen soll. Schon damals sagte Libyen zu, dass die zu diesem Zeitpunkt zwei inhaftierten Schweizer heimreisen dürften. Doch der Revolutionsführer ließ die Vereinbarung links liegen und versäumte sämtliche Fristen zur Ernennung der Schiedsrichter.

Damit nicht genug: Die beiden Schweizer (der zweite, Rachid Hamdani, kam im Februar frei) ließ Gadhafi nicht nur nicht ausreisen, sondern für mehrere Wochen an einen bis heute unbekannten Ort verschleppen. Daher reagieren Beobachter in der Schweiz noch vorsichtig: Bevor Göldi nicht eidgenössischen Boden betreten hat, trauen sie dem Libyer nicht über den Weg. Zu oft schon hat er die Schweiz an der Nase herumgeführt.

HINTERGRUND

Als Juli 2008Hannibal Gaddafi, Sohn des libyschen Diktators, in Genf wegen angeblicher Misshandlung von Hotelpersonal verhaftet wurde, drehte sein Vater durch: Er forderte u. a. die Aufteilung der Schweiz, erklärte ihr den Heiligen Krieg und ließ zwei Schweizer (einer davon Max Göldi, Foto) inhaftieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2010)

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