Harter Sparkurs: "Grausamkeiten" für die Briten

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Großbritannien erhöht zwecks Budgetsanierung die Mehrwertsteuer und schränkt Sozialleistungen dramatisch ein. Das Land hatte im vergangenen Haushaltsjahr eine Neuverschuldung von 155 Mrd. Pfund.

LONDON. Die neue konservativ-liberale britische Regierung folgt der politischen Weisheit, dass man Grausamkeiten am besten zu Beginn der Legislaturperiode begeht. Genau 42 Tage nach dem Machtwechsel in London stellte der konservative Schatzkanzler George Osborne gestern, Dienstag, im Unterhaus ein drastisches Sparpaket vor, das er als „hart, aber fair“ bezeichnete. Das von der Regierung so genannte „Notstandsbudget“ sieht unter anderem eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zu Beginn des kommenden Jahres von 17,5 Prozent auf 20 Prozent vor.

Das ist politisches Dynamit, denn im Wahlkampf haben die Liberalen vehement vor einer „Mehrwertsteuer-Bombe“ gewarnt. Nun ist sie mit ihrer Zustimmung explodiert. Die oppositionelle Labour Party sprach umgehend von „schrecklicher Kurzsichtigkeit“. Die amtierende Parteichefin Harriet Harman: „Dieser Haushalt wird Arbeitsplätze kosten und die wirtschaftliche Erholung gefährden.“

Doch Labour hat die öffentliche Debatte über die Unausweichlichkeit einer Haushaltssanierung längst verloren. Nach einer gestern veröffentlichten Umfrage des „Guardian“ befürworten 75 Prozent der Briten Einsparungen. In dieselbe Kerbe schlug Osborne, als er sagte: „Es ist die falsche Fragestellung zu sagen, wir haben eine Wahl zwischen Wachstum und Schulden.“ Die Haushaltssanierung sei „unumgänglich“, um „das Vertrauen der Märkte und unsere Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen.“ Die erste Reaktion der Märkte gab ihm recht: Das Pfund stieg gegenüber Euro und Dollar nach der Budgetrede.

Sanierung durch Kürzungen

Großbritannien hatte im vergangenen Haushaltsjahr eine Neuverschuldung von 155 Mrd. Pfund (10,4 Prozent des BIPs). Bis zum Ende der Legislaturperiode 2015 will die Koalition nach den Worten Osbornes „das Defizit ausgleichen“. Die Neuaufnahme soll von 149 Mrd. Pfund im Budget 2010/11 auf 20 Mrd. Pfund im Haushaltsjahr 2015/16 sinken. Die überwiegende Last der Budgetsanierung soll mit 77 Prozent durch Kürzungen aufgebracht werden, die verbleibenden 23 Prozent durch Steuererhöhungen.

Da die Konjunktur schwach bleibt (1,2 Prozent Wachstum 2010 und nur 2,3 im kommenden Jahr, so die Prognose Osbornes), bedeutet das dramatische Einschnitte: Im Durchschnitt sollen die Ausgaben aller Ministerien – ausgenommen Gesundheit – über vier Jahre um 25 Prozent gekürzt werden, erklärte Osborne. Details werden bis 20. Oktober feststehen. Die Gehälter für Staatsbedienstete (ausgenommen die untersten Einkommen) werden für zwei Jahre eingefroren. Sozialleistungen sollen reduziert und mit Einkommensgrenzen versehen werden.

Die Wirtschaft darf sich über eine Reduzierung der Körperschaftsteuer freuen. Dafür steigt die Kapitalertragsteuer für Spitzenverdiener mit sofortiger Wirkung von 18 auf 28 Prozent. „Alle müssen ihren Beitrag leisten“, betonte Osborne.

Zudem hob die Regierung die Mindestgrenze für die Einkommensteuer an, wodurch 880.000 Bürger im kommenden Jahr unter der Schwelle bleiben. Die Konservativen stimmten damit einem zentralen Versprechen der Liberalen aus dem Wahlkampf zu.

Auch die Queen muss sparen

In einem seltenen Fall von Majestätsbeleidigung wagte Osborne sogar Kritik an der Regierung von Tory-Übermutter Margaret Thatcher in den 1980er- und 90er-Jahren: „Wir haben in der Vergangenheit zu drastisch bei Investitionen gespart.“ Die Regierung werde daher an bestehenden Plänen festhalten, eine Erholung der Wirtschaft müsse aber „vom Privatsektor kommen.“

Apropos Majestät: Queen Elisabeth stimmte, wie Osborne dem Parlament berichtete, angesichts der dramatisch leeren Staatskassen einem Einfrieren ihrer jährlichen Aufwandsentschädigung aus dem Staatshaushalt zu. Mit 7,9 Mio. Pfund, die sie aus der Staatskasse bekommt, muss man sich um sie freilich weiterhin kaum Sorgen machen.

auf einen blick

Die neue Regierung in London schnallt den Briten den Gürtel beträchtlich enger: Ein gestern vorgestelltes Budgetsanierungspaket, das die Regierung selbst als „hart, aber fair“ bezeichnet, sieht unter anderem eine deutliche Anhebung der Mehrwertsteuer von 17,5 auf 20 Prozent und die Streichung zahlreicher Sozialleistungen vor. Reiche sollen mit einer höheren Kapitalertragsteuer zur Kasse gebeten werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2010)

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