Afghanistan-Einsatz: Die unmögliche Mission

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Der neue Kommandant, General David Petraeus, muss das Ruder im Kampf gegen die Taliban herumreißen. Er plant einen Strategiewechsel: Verhandlungen mit den Aufständischen sollen die Gotteskrieger spalten.

Die Taliban sind siegesgewiss: „Mubarak! Gratuliere!“ heißt es in SMS-Nachrichten, die Taliban-Sympathisanten einander schicken. Befeuert wurde die Euphorie der Gotteskrieger bereits im Dezember 2009 mit der Ankündigung von US-Präsident Barack Obama, im Juli 2011 mit dem US-Abzug aus dem Land am Hindukusch zu beginnen.

Obama wollte mit seiner Ankündigung zweierlei erreichen: •Ein Signal an die afghanische Regierung von Präsident Hamid Karzai senden: Es ist an der Zeit, dass die Afghanen die Dinge in Afghanistan selbst in die Hand nehmen.
•Gleichzeitig wollte Obama den Kriegskritikern in der eigenen Partei einen Silberstreif an den Horizont zaubern: Auch der längste Krieg der US-Geschichte muss einmal ein Ende finden. Nach über 1000 getöteten und 6000 verletzten GIs findet der Afghanistan-Einsatz in den USA kaum mehr Zustimmung. Dass allein im Juni 100 Tote zu beklagen waren, drückt zusätzlich auf die Stimmung, genauso wie die Tatsache, dass der Krieg seit vergangenem Monat den Vietnam-Krieg als längste Militärkampagne der US-Geschichte abgelöst hat.

Misserfolg, Uneinigkeit

Der Plan des früheren Oberbefehlshabers in Afghanistan, General Stanley McChrystal, war es, die Truppenverstärkung von 30.000 Mann zu nutzen, um den Taliban die Initiative zu entreißen. Danach könne man verhandeln – aus einer Position der Stärke.

Im Februar begannen die US-Truppen mit einer Offensive in der Stadt Marjah. Dort, in der Unruheprovinz Helmand, wollten die USA zeigen, wie man die Bevölkerung gewinnen und damit den Taliban den Boden entziehen kann. Doch der Fortschritt ist bisher bescheiden. McChrystal selbst bezeichnete Marjah als „blutendes Geschwür“.

Eine Offensive in der benachbarten Provinz Kandahar – einer Taliban-Hochburg – wurde nach den Schwierigkeiten in Marjah kurzerhand verschoben. Ein Propagandaerfolg für die Taliban. Ein Korrespondent der „Financial Times“ berichtete erst unlängst über die wirkungsvolle Einschüchterungskampagne der Taliban: Händler, die Obst und Gemüse zum Markt bringen wollten, mussten mitansehen, wie ihre Lebensmittel von den Taliban in den Kanal geworfen wurden. „Beim nächsten Mal bist du tot“, hätten sie ihnen gedroht.

In diesem Krieg geht es darum, die „Herzen und Hirne“ der Bevölkerung zu gewinnen, wie die US-Militärführung nicht müde wird zu betonen. Eine schwierige Aufgabe. Denn die Afghanen sind nach 31 Jahren Konflikt Überlebenskünstler mit einem feinen Sensorium für Gewinner und Verlierer. Sie haben in einer bitteren Lektion gelernt, dass man mit dem Leben bezahlt, wenn man auf der Verliererseite steht, also halten sich viele bedeckt – erst recht, seit die US-Abzugspläne bekannt geworden sind.

Doch die Schwierigkeiten der USA sind nicht auf die Taktik in Afghanistan beschränkt. Ein Problem war bisher auch das vergiftete Klima zwischen dem früheren General Stanley McChrystal und dem zivilen Afghanistan-Team um Obamas Sonderbotschafter Richard Holbrooke, Botschafter in Afghanistan General Karl Eikenberry und dem Nationalen Sicherheitsberater General James Jones. Mit einer aufsehenerregenden Story im Musik-Magazin „Rolling Stone“ ist dieses Zerwürfnis öffentlich geworden, Obama feuerte daraufhin General McChrystal und ersetzte ihn durch General David Petraeus.

Dieser beschwor – gleich nachdem er den Dienst in Afghanistan angetreten hatte – Einigkeit: Den Botschafter in Kabul, General Eikenberry bezeichnete er als seinen „Ranger Buddy“ (beide haben bei dieser Elite-Einheit gedient) und versprach enge Zusammenarbeit mit den zivilen Einrichtungen.

Petraeus tritt seinen Dienst zu einem kritischen Zeitpunkt an: Ein Strategiewechsel wurde zwar von ihm selbst immer ausgeschlossen, aber der General, dem es gelungen ist, im Irak das Ruder herumzureißen, indem er Aufständische zum Seitenwechsel und zum Abfall von al-Qaida bewegen konnte, wird wohl auch in Afghanistan versuchen, mit den Taliban ins Gespräch zu kommen. In der aktuellen Ausgabe des US-Nachrichtenmagazins „Newsweek“ wird eine Reihe von Regierungsinsidern zitiert, die eine Verhandlungsstrategie bevorzugen.

Wer sind die Taliban?

Karzai selbst hat in der Vergangenheit wiederholt für Gespräche plädiert. „Es gibt keinen richtigen Zeitpunkt für Verhandlungen“, wird ein US-Diplomat in „Newsweek“ zitiert, „das ist, wie wenn man ein Baby bekommt, da gibt es auch keinen richtigen Zeitpunkt.“

Dabei stellt sich die Frage: Verhandlungen mit wem? Denn nicht alle, die mit dem Label „Taliban“ bedacht werden, gehören zum harten Kern der Islamisten. Zum Teil handelt es sich um lokale Kriegsherren, die gegen die Zentralregierung von Präsident Karzai revoltieren: So berichtete ein internationaler Helfer der „Presse“, dass etwa in der Provinz Helmand außerhalb der Städte verschiedenste bewaffnete Gruppen Kontrollposten eingerichtet haben: lokale Vertreter der afghanischen Armee und Polizei und vier bis fünf Fraktionen, die gegen die Regierung kämpfen.

Auch dass die Zentralregierung nicht über genügend Soldaten und Polizisten verfügt, ist vor allem ein Problem mangelnder Loyalität örtlicher Kriegsherren – und weniger ein Problem des Mangels an gut ausgebildeten Kämpfern. „Das wäre, als würden wir brasilianischen Jungs das Fußballspielen beibringen wollen“, schrieb unlängst der Kolumnist der „New York Times“, Tom Friedman.

Reportage: Üben für den Krieg Seite 2

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2010)

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