Spaniens kurzer Moment der Einheit

(c) AP (David Ramos)
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Die Katalanen freuten sich mit Spaniens Kickern nur, weil sieben Barça-Spieler den WM-Titel holten. Eine Abspaltung Kataloniens von Madrid wäre für Spanien wirtschaftlich nur schwer zu verkraften.

MADRID/BARCELONA.José Luis Zapatero war nach Spaniens Triumph bei der Fußball-WM den Tränen nicht nur nahe. „Nach dem Schlusspfiff habe ich geweint“, bekannte der sozialistische Regierungschef. Endlich sei der Moment gekommen, auf den Generationen gewartet hätten. Und das, so meinte der Premier, werde das Selbstbewusstsein und auch die Einheit des Landes stärken.

Letzteres könnte ein frommer Wunsch bleiben. Für die Katalanen war es ein zwiespältiges Wochenende. Am Samstag hatten zehntausende Menschen in Katalonien für einen eigenen Staat demonstriert – es war der größte separatistische Marsch, den die Provinz je gesehen hatte.

Am Sonntag freuten sich dann doch viele Katalanen über den Weltmeistertitel für die spanische Mannschaft – oder besser gesagt: über den Sieg der sieben Nationalspieler von Carles Puyol bis David Villa, die beim „FC Barcelona“, dem Weltklasseverein der katalanischen Hauptstadt, unter Vertrag stehen. Das Siegestor des Barça-Stars Andrés Iniesta bestärkte die Katalanen darin, dass der Weltmeisterpokal genau genommen ihnen zu verdanken war.

„Ohne katalanische Spieler wäre das Nationalteam nicht viel wert“, stichelte Joan Puigcercós, der Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung und Chef der Regionalpartei ERC. Entsprechend flatterten in Barcelona nach dem Triumph mehr katalanische als spanische Fahnen.

Kataloniens Fußballvormacht dürfte die katalanischen Politiker zudem ermutigen, nicht nur auf eigene Botschafter, sondern wieder einmal auf eine eigene Nationalmannschaft zu drängen. In der heimlichen Hoffnung, dass die Welt dann irgendwann einmal ein Finale Katalonien gegen Spanien zu sehen bekommen werde.

Hoher Grad an Autonomie

Die Spaltung der Nation wird immer offensichtlicher. Daran ändert auch der Sieg der spanischen Fußballmannschaft nichts. Und daran hat auch der hohe Grad an Autonomie nichts geändert, den Katalonien ohnehin genießt.

Ein Einspruch des spanischen Verfassungsgerichts gegen einige Punkte in Kataloniens Statut reichte, um am Samstag bis zu einer Million Menschen auf die Straßen Barcelonas zu treiben.

Als verfassungswidrig war eingestuft worden, dass die katalanische Sprache in Schulen, Universitäten und Behörden gegenüber der spanischen Sprache Vorrang haben soll. Auch eine eigene Justizhoheit schmetterte Spaniens Oberstes Gericht ab. Die Bezeichnung Kataloniens als „Nation“ stufte es zur „rhetorischen Formel ohne rechtliche Bindung“ herab.

Ein Fünftel des BIPs

„Eine Beleidigung“ sei dieses Urteil der Obersten Richter, wetterte umgehend Kataloniens sozialistischer Regierungschef José Montilla. Er heizte damit die Rufe nach einem „unabhängigen Katalonien“ an. Kataloniens Statut war 2006, nach Billigung durch Spaniens Parlament und durch eine Volksabstimmung, in Kraft getreten. Es sieht noch größere Selbstverwaltung der ohnehin schon ziemlich autonomen Region vor, an die weitere staatliche Kompetenzen in den Bereichen Steuern, Wirtschaft, Soziales, Verkehr und Justiz abgetreten wurden.

Sollte sich Katalonien tatsächlich loslösen, wäre das nicht nur für Spaniens Fußballnationalmannschaft schwer zu verkraften. Barcelona, Costa Brava und Costa Dorada – keine andere Urlaubsregion Spaniens zieht mehr Touristen an. Kein Gebiet hat eine stärkere Wirtschaft, die Katalanen erwirtschaften knapp ein Fünftel des Bruttoinlandsproduktes. Dabei zählt die Mittelmeerregion nur 7,5Millionen der insgesamt 47Millionen Einwohner Spaniens.

Auch im rebellischen Baskenland hat der Sieg der spanischen Elf übrigens keine besänftigende Wirkung. In einigen Orten wurden Fans des spanischen Nationalteams beschimpft und sogar verprügelt. Die Baskenmetropole Bilbao weigerte sich, eine Großleinwand aufzubauen. Und in Barakaldo wurde mitten im Finalspiel der Riesenbildschirm in der Sporthalle dunkel. Spanien-Gegner hatten den Strom gekappt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2010)

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