Italien: Die Mär vom "guten Onkel Mussolini"

Italien Maer guten Onkel
Italien Maer guten Onkel(c) EPA (Danilo Schiavella)
  • Drucken

Die Ära des Duce erlebt in Italien eine beängstigende Renaissance. Möglich gemacht wird dies durch fehlendes Geschichtsbewusstsein, eine Verdrängung der Verbrechen und eine Verklärung des Diktators.

Nostalgisch wurde Vittoria Michela Brambilla, als sie im vergangenen Sommer nahe Como am Carabinieri-Fest teilnahm. Kaum war die Nationalhymne verklungen, hob Italiens Tourismusministerin den rechten Arm zum faschistischen „Römischen Gruß“. Eine Straftat in Italien. Einige Tage lang sorgte dies für Schlagzeilen. Ein Rücktritt stand nie zur Debatte.

Wieso auch? Brambilla ist nicht die einzige Politikerin, die ihre Sympathien öffentlich zur Schau stellt. Auch Ajmona Finestra etwa steht konsequent hinter seinem Weltbild. Kaum war er Mitte der 90er-Jahre zum Bürgermeister von Latina (Region Latium) gewählt worden, benannte er den Stadtpark nach dem Duce-Bruder Arnaldo Mussolini um. Nichts Ungewöhnliches im heutigen Italien. In mehreren Ortschaften gibt es inzwischen eine „Via Almirante“, um den Gründer der neofaschistischen Partei Movimento Sociale Italiano (MSI) zu ehren. Der Duce-Fan hat antisemitische Hetzartikel publiziert und 1938 das Rassenmanifest unterzeichnet.

Es ist offensichtlich: Die Ära Benito Mussolinis erlebt im Belpaese eine Renaissance. Duce-Museen, Devotionalien, verharmlosende Darstellungen im Film und Biografien über Mussolinis Entourage sind en vogue. „Die Duce-Bewunderung ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Faschismusapologie ist eine Meinung unter anderen geworden“, konstatiert der Schweizer Historiker Aram Mattioli, der den Revisionismus in Berlusconis Italien erstmals wissenschaftlich untersucht hat.


Marginalisierte Rechtsradikale. Hinter der Aufwertung des Faschismus stecke Kalkül, meint er: Damit sichere sich der Premier die Unterstützung der jahrzehntelang marginalisierten Rechtsradikalen. Um seine Mehrheit zu wahren, paktierte Berlusconi nicht nur mit der „postfaschistischen“ Alleanza Nazionale (AN), sondern auch mit Extremisten, die den „verräterischen“ Reformkurs des damaligen AN-Chefs Gianfranco Fini nicht mittragen wollten.

In seinem Buch zeigt Mattioli, wie der Faschismus seit dem ersten Wahlsieg des Mitte-rechts-Blocks 1994 immer salonfähiger wurde. Zunächst wurde der antifaschistische Gründungsmythos der Republik verdrängt. Den Nationalfeiertag, den „Tag der Befreiung“ (vom Faschismus; Anm.)am 25. April, etwa feierte Berlusconi nicht. Dann kam es unter dem Deckmantel der „nationalen Aussöhnung“ zur Aufwertung der Republik von Saló, des faschistischen Marionettenregimes unter deutscher Besatzung nach 1943. Deren Milizionäre seien „Partisanen von rechts“ gewesen, sagen heute Staatsvertreter. Von Repräsentanten der Mehrheit ist immer wieder zu hören, dass der Faschismus auch gute Seiten gehabt habe, zumindest bis zu den Rassengesetzen 1938 und der Allianz mit Deutschland.

„Es beginnt mit der alten Behauptung, dass der Faschismus eine milde Diktatur gewesen sei, nicht zu vergleichen mit NS-Deutschland oder der stalinistischen Sowjetunion. Dann wird auf die angeblichen Leistungen des Regimes verwiesen, auf dessen Infrastrukturpolitik“, analysiert Mattioli.

Mithilfe von öffentlich geförderten TV-Produktionen wurde in den vergangenen Jahren das Bild des „guten Faschisten“ propagiert: des Helden mit noblen Überzeugungen oder des sanften Besatzers, der sich mit der Lokalbevölkerung verbrüdert. Vorbild ist freilich der Duce. Ein „guter, aber strenger Onkel“, ein aufbrausender Familienmensch mit Faible für schöne Frauen. „Ein Erzitaliener, mit allen seinen verzeihlichen Schwächen.“ Diese Geschichtsoffensive hat Erfolg. 2002 äußerte sich in einer Umfrage ein Viertel der befragten Jugendlichen positiv zu Mussolini.


Unwissen über Verbrechen. Besonders irritierend sei, wie gezielt die gewalttätige Komponente des Faschismus ausgeblendet werde, beklagt Mattioli. Insgesamt forderte die „Expansionspolitik“ des Duce eine Million Menschenleben. Diese inzwischen gut dokumentierten historischen Tatsachen sind nie ins kollektive Gedächtnis der Italiener vorgedrungen. Weit verbreitet ist das Unwissen über Verbrechen in Abessinien und Libyen, Vernichtungskriege mit Massenhinrichtungen und Giftgaseinsatz. Wenig Ahnung haben die meisten Italiener auch von den Brutalitäten auf dem Balkan oder der Beteiligung an der Judenvernichtung. „Italien ist eine TV-Nation und Berlusconi kontrolliert das Fernsehen. Erkenntnisse über die Gewalt des Regimes werden bewusst ignoriert“, erklärt Mattioli.

Schwierig war es für Berlusconi nicht, die Erinnerungskultur umzubauen. Vorarbeit hatten seine Vorgänger geleistet. Bereits 1946 gab es eine Generalamnestie für verurteilte Faschisten, zu Kriegsverbrecherprozessen kam es nie. Das Verdrängen sollte die tief gespaltene Nachkriegsgesellschaft befrieden. Während der Widerstandskampf gegen die Deutschen zum nationalen Gründungsmythos stilisiert wurde, stellte man das Duce-Regime als tollpatschige Diktatur ohne Rückhalt im Volk dar. Bald hatte sich das Bild einer „Rosenwasserdiktatur“ etabliert, die kaum etwas mit dem NS-Terrorregime gemein hatte: Die Mär vom „guten Onkel Mussolini“ war geboren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.