Gedenkfeier in Japan: "Leider mussten wir kapitulieren"

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bdquoLeider mussten wegen Atombomben(c) EPA (KIMIMASA MAYAMA)
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65 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs besuchte erstmals kein Mitglied der Regierung den Yasukuni-Schrein im Herzen Tokios. Premier Naoto Kan entschuldigte sich für Japans Schuld am Kriegsausbruch.

TOKIO. 65 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Pazifik am 15. August 1945 gab es am Sonntag in Japan eine kleine Sensation: nämlich einen Bruch mit der Gedenktradition. Erstmals seit 1945 besuchte kein Mitglied der Regierung den vor allem im Ausland umstrittenen Yasukuni-Schrein im Herzen Tokios. Und Premier Naoto Kan entschuldigte sich für die Schuld Japans am Kriegsausbruch.

Im Yasukuni-Tempel werden die Seelen aller seit 1868 gefallenen japanischen Soldaten verehrt; auf dem Seelenregister sind auch Namen Angehöriger grausamer Spezialeinheiten zu finden, die etwa in China und Korea in den 1930er- und 1940er-Jahren brutal gegen Zivilisten vorgingen und Experimente an Gefangenen durchführten. Auch auf der Liste sind die Namen 14 hoher Offiziere, die von den Alliierten nach den Tokioter Kriegsverbrecherprozessen hingerichtet wurden, darunter Premierminister und Generalstabschef Hideki Tojo.

Premier bittet um Verzeihung

„Wir haben vielen Ländern großen Schaden und Leid zugefügt“, sagte Premier Kan. Rechte und Nationalisten waren indes über die Abstinenz von Regierungsvertretern am Schrein empört.

Wie jedes Jahr pilgerten Kriegsveteranen zum Zentrum des japanischen Militarismus. „Wir sehen uns im Yasukuni-Schrein“ – mit dem Schlachtruf der Kamikaze-Flieger, Originaluniformen, Waffen und Trompeten verherrlichen sie die Vergangenheit, als ob es die Aggression nie gegeben hätte. Der Krieg, den Japan am 7. Dezember 1941 mit dem Angriff auf die US-Basis Pearl Harbour auf Hawaii begonnen hat, wird gern „Großer pazifischer Feldzug“ genannt. „Leider mussten wir wegen der Atombomben vor den Amerikanern kapitulieren“, bedauert manch Veteran. Zum Teil kann man an den Gesichtern ablesen, dass man ohne diese „Teufelswaffe“ bis zum letzten Atemzug gekämpft hätte.

Seit Jahrzehnten zeigen die Veteranen, aber auch viele junge Nacheiferer an diesem Tag trotzig Flagge, das letzte Mal vielleicht, schon aus biologischen Gründen. Kaum einer der Veteranen ist jünger als 85, aber solange sie können, halten sie dem kaiserlichen Schwur Treue. Gebrechliche Kameraden reißen noch einmal die Knochen zusammen, versuchen steif, den Stechschritt zu exerzieren. Ein seltsamer Aufzug versprengter Soldaten in Kriegsmontur zieht es am Tag der Kapitulation zum Yasukuni-Schrein, zu den Göttern und zum Umtrunk.

Kamera statt Karabiner

Man trägt Feldbraun – meist die Tropenausführung mit tief fallendem Nackenschutz. Verbeulte Helme, abgeschabte Kartentaschen, verblasste Rangabzeichen, Gewehre und Schwerter sind zu sehen; alles original, nur in der Feldflasche gluckert vermutlich Sake und kein Tee wie damals. Und vor den Altmännerbäuchen baumeln Videokameras statt Karabiner.

Am Souvenirstand floriert der Devotionalienhandel. Kriegsmaler hielten fest, wie Piloten indonesische Tempeldienerinnen von ihrer „heiligen Mission“ überzeugt haben könnten, lächelnde Buddhas pflegen verletzte Soldaten. Einer entleibt sich mit dem Harakiri-Schwert, aus dem Bauch schießt Blut zur rot aufsteigenden Sonne. Man kann sich von Malern auch in Uniform porträtieren lassen.

Der Yasukuni-Schrein mit seinen schönen Zierkirschen ist kein Platz, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Die Männer, zuweilen auch ihre Frauen und Enkel, kommen der Militärromantik wegen. Nichts eignet sich dazu besser als die zehn Hektar große Stätte, an der blutbefleckte Fahnen und Selbstmordtorpedos nicht an die Schrecken des japanischen Angriffskriegs, sondern an Heroismus erinnern.

Von feiner Zurückhaltung, wie man sie Japanern nachsagt, ist auch im Museum des Schreins nicht die Rede. Man sieht Waffen und Trophäen, die Mord und Selbstmord für das Reich verherrlichen. Der Rundgang beginnt schon mit der Erklärung, Japan habe aufrüsten müssen, um sich und ganz Asien gegen die Kolonialmächte zu verteidigen, denen China in den „Opiumkriegen“ 1839–42 und 1856–60 zum Opfer fiel.

Den vielen jungen Besuchern wird das Gefühl vermittelt, Japan habe einen gerechten Krieg geführt. Das Massaker von Nanjing, bei dem nach chinesischen Angaben mehr als 300.000 Menschen ermordet wurden, wird beiläufig als „Vorfall“ erwähnt. Kein Hinweis findet sich auf die Spezialeinheit 731, die nackte Menschen wie Tiere in Käfigen hielt und mit Bakterien infizierte, um den Verlauf der Krankheit zu verfolgen. Verschwiegen werden die tausenden asiatischen Frauen, die für die Soldaten zur Prostitution gezwungen wurden.

Weil Kamikaze-Piloten für den Opfergang unverheiratet sein mussten, ehrt man im Yasukuni-Schrein, der übersetzt „friedliches Land“ heißt, sogar eine Selbstmörderin: Sie erlaubte ihrem Mann mit ihrem Freitod erst das Heldentum.

FPÖ-Politiker beim Heldenschrein

Zu den gestrigen Feiern am Schrein kamen auch Politiker rechter und rechtsextremer europäischer Parteien, an ihrer Spitze der Franzose Jean-Marie Le Pen, Chef der „Front National“. Der 82-Jährige sagte, auch die USA müssten wegen der Atombombenabwürfe auf Japan als Kriegsverbrecher gelten.

Neben Gesinnungsgenossen aus Belgien, Spanien, Ungarn, Portugal und Rumänien kam auch der Linzer FPÖ-Politiker und EU-Abgeordneter Franz Obermayr. Die europäischen Rechten waren auf Einladung der nationalistischen japanischen Bewegung „Issuikai“ in Japan, um über die Zukunft nationalistischer Gruppen zu diskutieren.

LEXIKON: DER KRIEG IM PAZIFIK

Japan hatte bereits 1910 Korea annektiert und 1931/32 China die Mandschurei entrissen. Der Pazifik-Krieg begann im Juli 1937 mit Japans Invasion in China und weitete sich im Dezember 1941 mit dem Angriff auf die US-Basis Pearl Harbour aus. Bis Mitte 1942 wurden die britischen Kolonien Hongkong, Singapur und Malaya, Niederländisch-Ostindien (Indonesien), die Philippinen, die Salomonen, viele pazifische Inseln, Thailand, große Teile Burmas und Papua-Neuguineas besetzt und die französischen Besitzungen Vietnam, Laos und Kambodscha „gleichgeschaltet“. Japanische Flieger bzw. U-Boote tauchten sogar vor Ceylon, Madagaskar und Tasmanien auf.

Die Wende kam im Juni 1942 mit der Versenkung vier japanischer Flugzeugträger durch die USA in der Schlacht bei Midway im Südpazifik. Amerikaner, Australier, Neuseeländer drängten die Japaner von Westen und Süden her zurück, 1944 wurden die Philippinen zurückerobert und der Krieg im August 1945 durch zwei Atombomben auf Japan beendet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.08.2010)

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