Putins Gegner ohne Rückhalt

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Die Unzufriedenheit wächst. Doch die Opposition ist schwach und der Kreml auf der Hut. Wer zu laut aufmuckt, wandert schnell hinter Gitter: wie Ex-Vizepremier Boris Nemzow. Eine Haftstrafe von 15 Tagen droht

MOSKAU. Die russische Polizei hat am Wochenende in Moskau mehrere prominente Oppositionelle festgenommen. Unter ihnen auch Boris Nemzow, den Vorsitzenden des außerparlamentarischen Oppositionsbündnisses Solidarnost. Der Ex-Vizepremier wollte am „Tag der Nationalflagge“, der an den fehlgeschlagenen Putsch der Kommunisten im August 1991 erinnert, nach einer Kundgebung mit einer überdimensionalen russischen Trikolore durch Moskaus Stadtzentrum laufen. Unter dem Vorwand, keine Erlaubnis für einen Protestmarsch erhalten zu haben, wurden Nemzow, ein weiteres Solidarnost-Mitglied namens Michail Schneider und der bekannte Menschenrechtler Lew Ponomarew verhaftet. Eine Gerichtsverhandlung ist für Dienstag angesetzt. Eine Haftstrafe von 15 Tagen droht.

Zugleich protestierten am Moskauer Puschkin-Platz 3000 Menschen gegen die Abholzung eines Waldes im Vorort Chimki. Auch Rock-Ikonen nahmen teil, obwohl die Stadtverwaltung ein Konzert untersagt hatte. Die Demonstranten forderten in Sprechchören den Rücktritt von Premier Wladimir Putin. In der Exklave Kaliningrad gingen am Wochenende an die 3000 Menschen mit derselben Forderung auf die Straße und verlangten die Wiedereinführung der abgeschafften Gouverneurswahlen.

Vor diesem Hintergrund könnte der Eindruck entstehen, dass das System Putin an Rückhalt verliert und die Opposition an Zulauf gewinnt. Das Bild trügt indes. Hinter Premier Putin und Kremlchef Dmitrij Medwedjew stehen noch immer mehr als 60 Prozent der Wähler. Auch wenn die Unzufriedenheit mit dem korrupten und unfähigen Staatsapparat wächst, bleiben die beiden Führungsfiguren von Kritik verschont.

Die heterogene Opposition stellt für die Mehrheit der Bürger keine Alternative zum bestehenden System dar. Westliche Demokratie, wie sie Solidarnost propagiert, übt auf die Masse keinen besonderen Reiz mehr aus. Ständige personelle Auseinandersetzungen innerhalb der Opposition untergraben deren Glaubwürdigkeit genauso wie der Personenkult, der auch diesen Gruppen nicht fremd ist. Zahlreiche Versuche, übergreifende Bündnisse zu schmieden, sind meist am Egoismus einzelner Führungsfiguren gescheitert.

Blogger und Aktivisten

Persönlichkeiten wie Garri Kasparow, Boris Nemzow oder der Chef der Nationalbolschewiken, Eduard Limonow, tun sich schwer mit innerparteilicher Demokratie. Das macht die Bürger misstrauisch. Sie vermuten, dass die demokratische Opposition nur danach trachtet, selbst an die Fleischtöpfe der Macht zu gelangen.

Von diesem Verdacht ausgenommen sind Ex-Sowjet-Dissidenten wie Ludmila Alexejewa und Lew Ponomarjow, die an jedem 31. eines Monats bei verbotenen Demonstrationen an den Artikel31 der Verfassung erinnern, der Versammlungsfreiheit garantiert. Den integren Menschenrechtlern traut die Masse indes nicht zu, Russland führen zu können. Sie erheben auch nicht den Anspruch.

Ein umtriebiger Aktivist, der in letzter Zeit von sich reden macht, ist der Kopf der „Linken Front“, Sergei Uldazow. Seine meist jüngeren Anhänger sind überall dort, wo Häuser abgerissen und Wälder gerodet werden oder Spekulanten sich Bauland unter den Nagel reißen wollen. An Einfluss gewinnen Blogger. Während der Großfeuer in Russland organisierten sie in kürzester Zeit umfangreiche Hilfe für Notleidende. Kommentar, Seite27

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2010)

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