USA: Angst, Wut und Resignation im Obama-Land

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Die Skepsis gegenüber Washington und dem Präsidenten ist jenseits der Küstenstreifen stark ausgeprägt. Selbst einst glühende Anhänger zeigen sich Obama-müde, die Euphorie ist verpufft. Ein Stimmungsbild aus den USA.

Washington dampft unter einer bleiernen Wolkendecke. An der Metrostation schimpft ein Radfahrer – ein Mittsiebziger im Renndress, der mürrisch hinter seiner Brille hervorlugt – über die Arroganz und den Zynismus innerhalb des „Beltway“ – der Ringautobahn, die die Hauptstadt umschließt und im Politsprech als Chiffre für die Insider-Cliquen steht, die sich im Zentrum der Macht eingenistet haben.

„Lass dir eines von einem Juden aus New York gesagt sein: Das wahre Amerika beginnt 300 Meilen westlich der I-95.“ Die Interstate 95, die stark frequentierte Autobahn entlang der amerikanischen Ostküste, zieht sich von der kanadischen Grenze im Norden bis hinunter nach Miami im Süden Floridas.

Steubenville, Ohio.
Der Ohio-Fluss wälzt sich träge entlang der Grenze zwischen Ohio und West-Virginia, die Schlote der verrosteten Stahlwerke spucken Rauch und Feuer. Zur Mittagszeit ist das Zentrum des Städtchens, die North Fourth Street, wie ausgestorben. Viele Läden stehen leer und zum Verkauf. Nur das „Hu Nang“ brummt. Das China-Restaurant bietet ein dreigängiges Menü um 6,99 Dollar, und die chinesischstämmige Chefin hält ihre Gäste mit drolligem Akzent bei Laune: „Wie geht's in der Schule? Wir sehen uns in der Kirche.“

Immer noch dominiert die Schwerindustrie Steubenville, obwohl die Glanzzeiten längst vorbei sind. Auch der größte Sohn der Stadt, der sich einst als Stahlarbeiter und Boxer verdingt hat, ist bald fortgezogen. Bei seiner Rückkehr ließ sich Dino Crocetti alias Dean Martin in den 1950er-Jahren bei einer Parade im Straßenkreuzer zusammen mit seinem Partner Jerry Lewis feiern. Der Sohn italienischer Immigranten hat sich seinen „American Dream“ erfüllt.
St. Louis, Missouri. Gewaltig wölbt sich der Stahlbogen des „Gateway“ über dem Ufer des Mississippi. Das Wahrzeichen symbolisiert das Tor zum Westen, von hier aus sind die Pioniere zur Landnahme in fremdes Terrain – meist Indianerrevier – aufgebrochen. Viele Amerikaner betrachten das Herzland der USA jetzt nur noch als „Fly-over-Country“, als Überflugsgebiet.

Aber heute macht Vizepräsident Joe Biden hier Station, um die Demokraten für die Midterm-Elections im Herbst trotz der miserablen Stimmung und der Prognosen der „Pundits“ aufzuputschen: „Es ist ein Kampf zwischen den Demokraten und der republikanischen Tea Party.“ Passend zu seiner Zugleidenschaft hält „Amtrak-Joe“, so sein Spitzname, seine Anfeuerungsrede in der Union Station. Von außen gleicht der Bahnhof mit seinen Türmen und Zinnen einem Loire-Schloss, drinnen breitet sich eine Shopping Mall aus – nur Züge fahren nicht mehr ab.

Wie zu jedem Spieltag der „Cardinals“ haben Joan und Kathy ihren Würstelstand von der Union Station zum Football-Stadion verlegt. Sie haben keinen Grund zur Klage: „Die Lage könnte schlechter sein. Wir liegen in der Mitte. An der Küste spüren die Menschen die Krise mehr. Und Hot Dogs essen die Leute ja immer.“

Boulder, Colorado. Vor der University of Colorado proben die Cheerleader, Outdoor-Sportler bevölkern die Vorstadt von Denver. An den Straßenkreuzungen betteln Ex-Soldaten, Obdachlose und Leute, denen auf ihrem Selbstfindungstrip das Geld ausgegangen ist, um Almosen. Studenten verdienen sich ein Zubrot als lebende Litfaßsäulen. In der Fußgängerzone der Pearl Street ertönen Geigen und vor dem Tibet-Shop Didgeridoos.

Boulder, am Fuße der Rocky Mountains gelegen, ist eine Hochburg der Alternativen und Esoterikfans. Der Buchhändler mit dem blonden Pferdeschwanz lässt auf den Präsidenten nichts kommen und gönnt ihm die Vorablektüre des neuen, unter Mediengetöse erschienenen Jonathan-Franzen-Romans „Family“: „Das hat er sich verdient. Sein Job ist hart genug.“

Auf einer Parkbank spannt derweil Kibby aus, ein Radfahrer und deklarierter Marihuana-Raucher – Colorado erlaubt den Konsum von apothekenpflichtigem Marihuana. Der Obama-Wähler gibt sich desillusioniert: „George W. Bush war viel lustiger. Obama ist mehr ein Gelehrter als ein Oberkommandierender. Man kann nicht alles verändern – das wäre zu ein großes Durcheinander.“


Sundance, Utah
. In seiner „Theme Time Show“ im Internet-Radio Sirius XM räsoniert Bob Dylan über Wanderarbeiter, die Armut im Land und das Leben „on the wrong side of the tracks“ – auf der falschen Seite der Gleise. Im Wintersportort Sundance, in den Bergen um Salt Lake City, hat Robert Redford ein Kulturzentrum eingerichtet. Als Outlaw und Eisenbahnräuber im Kultwestern „Butch Cassidy und Sundance Kid“ hatte er den Durchbruch in Hollywood geschafft, im nahen Park City gründete er später das Sundance-Filmfestival.

Kevin und Aubrey Kelly sind mit ihren vier Töchtern im Alter von elf Monaten bis neun Jahren unterwegs zu einem Sonntagsausflug nach Sundance. „Obama ist ein Talking Head. Worin genau sollte denn der Wandel bestehen? Ich habe nie daran geglaubt“, sagt Kevin, ein 29-jähriger Computerexperte, der nebenbei Fantasy-Romane schreibt. In einer Mormonen-Familie aufgewachsen, bezeichnet er sich jetzt als „christlich konservativ“.

An der Union-Pacific-Strecke schleppen sich Güterzüge, länger als einen Kilometer, durch die Rockies. Vereinzelt ziehen sich neue schwarze Asphaltbänder durchs Bergland. Doch viele Highways – die Lebensadern der Nation – gleichen Rumpelpisten. Überall überziehen Großbaustellen das veraltete, in der Eisenhower-Ära forcierte Autobahnnetz. In vielen Städten wie Salt Lake City gähnen riesige Baugruben. Schilder weisen auf den Einsatz von Steuergeldern aus dem Obama-Konjunkturprogramm hin, die die marode Infrastruktur auf Supermacht-Niveau heben und die Arbeitslosigkeit mildern sollen.


Reno, Nevada. Im „Eldorado“ in Reno sitzt Becky aus Washington an einer Slotmaschine und versucht, ihrem Glück einen Stoß zu geben. „50 Bucks sind mein Tageslimit“, meint sie. Mehr als 50 Dollar will sie nicht ausgeben bei ihrem Trip ins Casinoland Nevada, das Pensionisten aus den Nachbarstaaten anzieht. In abgedunkelten, vollklimatisierten Räumen hocken sie hinter den Glücksspielautomaten – in Wüstenkaffs wie Jackpot oder Boomtown, in separierten Tankstellen-Kobeln oder in der Glitzermetropole Las Vegas. Fürs Glücksspiel haben die Amerikaner immer noch ein paar Dollar übrig.

Motelmanager Herb Silverman glaubt: „In Las Vegas kommen wir als Letzte aus der Krise heraus.“ Die Stadt hat die höchste Rate an Zwangsversteigerungen, der Staat liegt mit 14 Prozent an der Spitze der Arbeitslosenstatistik. In den Boomjahren wurde zu viel gebaut. „Ein Freund hat sein Haus verloren, ein anderer wurde von seinem Casino auf 16 Stunden heruntergesetzt.“ Arbeiter – zumeist Hispanics – wechseln den Kunststoffrasen am „Strip“ aus, der Casinomeile, um wenigstens den schönen Schein zu wahren.


Lone Pine, Kalifornien. Eingerahmt von den Zacken des Mount Whitney, des höchsten Berges Kaliforniens, ist Lone Pine zugleich Einfallstor zum Death Valley, dem tiefsten Punkt des Kontinents mit Temperaturen von bis zu 50 Grad. Lone Pine gab die Kulisse für den Gangsterfilm „High Sierra“ mit Humphrey Bogart ab.

Judy Fowler führt das Filmmuseum. Sie zeigt sich ein wenig enttäuscht von Kaliforniens „Gouvernator“ Arnold Schwarzenegger – noch mehr aber vom Präsidenten. „Obama macht einen furchtbaren Job.“ Sie zitiert den Slogan des Bill-Clinton-Wahlkampfmanagers James Carville: „It's the economy, stupid.“ Es gehe einzig und allein um die Wirtschaft. „Obama aber erstickt das freie Unternehmertum, das das Land groß gemacht hat. Er verwandelt die USA allmählich in ein sozialistisches Land. Er verkörpert die Ostküsten-Elite mit der Ich-weiß-alles-besser-Attitüde.“ Zugleich sagt sie: „Ich bin des Infights überdrüssig.“


Sedona, Arizona.
„Ich kann ihn nicht ausstehen.“ Matt, ein Touristenführer in dem Künstlerstädtchen südlich des Grand Canyon, macht kein Hehl aus seiner Abneigung gegen den Präsidenten. Die illegale Immigration ist ihm ein Dorn im Auge. „Obama macht alles falsch. Er hätte GM untergehen lassen sollen.“ Sedona ist John-McCain-Country. Der Republikaner besitzt in den roten Bergen eine Ranch. Für Matt personifiziert Sarah Palin die Zukunft.

Im nahen Flagstaff, einem Kreuzungspunkt der Route 66, hat die 51-jährige Patty gerade ihren neuen Job als „Mädchen für alles“ in einem Motel angetreten. Sie ist aus Kalifornien hergezogen, ein Jahr hat sie vergeblich einen Job gesucht. Vorher hat sie in einer Sicherheitsfirma gut verdient. Nun muss sie Abstriche machen. „Die Regierung ist bankrott. Sie gibt zu viel Geld aus, aber nicht für die kleinen Leute.“


Tucumcari, New Mexico. Die Motoren der Trucks laufen heiß auf der Raststätte am Llano Estacado, der Hochebene zwischen New Mexico und Texas. „Ohne Trucks kommt Amerika zum Erliegen“, lautet ein Stickerspruch. 30 Cent verdient José Avila aus Kalifornien pro Meile. „Zumindest habe ich einen Job.“ Er fürchtet aber den Rückfall in eine neue Rezession.

Frank Berger transportiert Babymilch von Arizona nach Washington. Mit seiner massigen Gestalt und dem weißblonden Haarschopf ähnelt er dem Schauspieler Philip Seymour Hoffman. „Für mich sind die nächtlichen Truck-Abstellplätze an den Highways ein Indikator für die Wirtschaftslage“, erläutert er seine These. „Vor einem Jahr hast du leicht welche gekriegt. Jetzt sind die Parkplätze wieder voll – und das ist ein gutes Zeichen.“

Obama sei dem Job nicht gewachsen, findet Berger. „Die Gesundheitsreform? Hell, no!“ Ihm fehle die Erfahrung. „Das ist wie beim Peter's-Prinzip: Du steigst so lange auf, bis du an deine Grenzen stößt.“ Brian aus Florida hätte sich Hillary Clinton im Weißen Haus gewünscht. „Die hat bereits acht Jahre Jobtraining hinter sich.“


Hot Springs, Arkansas
. Ihr Mann Bill Clinton ist in dem ehedem noblen Kurort in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Sein Name ist im „Walk of Fame“ neben Johnny Cash eingraviert. Nicht nur in seinem Heimatstaat Arkansas herrscht Nostalgie nach der Clinton-Ära. Am Ufer des Arkansas-Flusses steht in der Hauptstadt Little Rock seine Präsidenten-Bibliothek. „Die Politik ist widerlich“, sagt eine Besucherin und wettert gegen die Lobbys. „Es wird ein böses Erwachen geben“, orakelt Tina Pinell aus St. Louis, Missouri, über Obamas Schuldenpolitik. „Es geht bergab mit dem Land, und unsere Kinder werden dafür zahlen.“


Asheville, North Carolina.
Im Fernsehen läuft die Ansprache des Präsidenten, doch keiner schaut zu in dem hübschen Städtchen am Fuße der Smoky Mountains. Die Studenten haben sich von ihrem Idol abgewandt. „Was hat sich denn schon verändert?“, fragt eine Lehrerin, die währenddessen draußen vor dem Lokal eine Zigarette raucht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2010)

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