Der Bundesbank-Vorstand und Autor des umstrittenen Buchs „Deutschland schafft sich ab“ hat Bundespräsident Wulff um die Entbindung von seinem Amt gebeten. Die Aufregung über seine Thesen hält an.
Berlin. Während Thilo Sarrazin am Donnerstag in Potsdam seine deutschlandweite Lesereise begann, begleitet von Zustimmung und Protesten, kam die Causa am Abend zumindest in einem Punkt zu einem Ende: Die Bundesbank teilte gegen 21 Uhr mit, dass der Autor des umstrittenen Buches „Deutschland schafft sich ab“ freiwillig seinen Posten im Vorstand räume. Die Zusammenarbeit werde zum Monatsende einvernehmlich beendet.
Damit ist Sarrazin Bundespräsident Christian Wulff zuvorgekommen, der über den Antrag der Bundesbank auf vorzeitige Abberufung ihres Mitglieds entscheiden sollte und diese heikle Frage seit nunmehr einer Woche abwog. Diesen Antrag hat die Bundesbank nun zurückgezogen, Sarrazin bat Wulff von sich aus um die Entbindung von seinem Amt.
„Verantwortung für Institution“
„Der Vorstand der Deutschen Bundesbank und das Vorstandsmitglied Dr. Thilo Sarrazin sind sich ihrer Verantwortung für die Institution Deutsche Bundesbank bewusst“, heißt es in der Mitteilung. Der Vorstand dankte Sarrazin „für die von ihm als Mitglied des Vorstands geleistete Arbeit“ und kündigte an, dass sich beide Seiten in der Angelegenheit künftig nicht mehr äußern würden.
Der 65-Jährige, der lange Jahre Finanzsenator von Berlin war, hatte mit seinen Thesen zur angeblichen mangelnden Integrationsfähigkeit von Migrantengruppen, zur Überfremdung Deutschlands durch weniger intelligente Ausländer und der Behauptung, Juden teilten ein bestimmtes Gen, nicht nur in Deutschland, sondern auch international für erhebliche Empörung gesorgt. Zugleich erntet er in der deutschen Bevölkerung auch viel Zustimmung, die Angst, Fremder im eigenen Land zu werden, ist, wie zahlreiche Umfragen belegen, groß.
Die SPD leitete ein Ausschlussverfahren gegen Sarrazin ein, trotz Widerstand an der Basis. Nach heftigem Druck von Seiten der Politik beschloss die Bundesbank vor einer Woche in einem einmaligen Vorgang, sich von ihrem Vorstandsmitglied zu trennen, und stellte den entsprechenden Antrag beim Bundespräsidenten. Es wurde allgemein erwartet, dass Sarrazin gegen seine Abberufung klagen würde. Regulär hätte seine Amtszeit in der Bundesbank im Jahr 2014 geendet.
Mit dem freiwilligen Rücktritt wird die Debatte freilich nicht beendet sein. Das Integrationsthema wird derzeit intensiv diskutiert, wobei die Regierung versucht, den Ton vorzugeben. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Innenminister Thomas de Maizière (beide CDU) haben sich zuletzt erneut von Sarrazin distanziert und gleichzeitig dazu appelliert, tatsächlich bestehende Probleme bei der Integration nicht klein zu reden. Eben erst wurde ein neues Integrationsprogramm präsentiert.
Jubel und Standing Ovations
Wie sehr das Thema die Bevölkerung bewegt und spaltet, wurde am Donnerstag bei der ersten Station von Sarrazins Lesereise deutlich: Im ausverkauften Nikolaisaal in Potsdam wurde er von der Mehrheit der rund 700 Gäste mit Applaus empfangen; einige jubelten und begrüßten den Redner mit Standing Ovations.
Vor dem Gebäude wurde unterdessen unter dem Motto „Keine Toleranz gegen Rassisten“ demonstriert. „Sarrazin schafft sich ab“, war auf einem Transparent zu lesen. Unter die Demonstranten mischten sich auch Anhänger der rechten Szene. Der Umgang mit Sarrazin hat nicht zuletzt eine Debatte über Meinungsfreiheit ausgelöst.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10. 9. 2010)