ElBaradei: „Die Araber sind von Obama enttäuscht“

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ElBaradei bdquoDie Araber sind(c) REUTERS (ASMAA WAGUIH)
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Mohamed ElBaradei über den Nahostkonflikt, Irans Atomprogramm und seinen Kampf für Demokratie. Die hohen Erwartungen der Araber zu Amtsantritt Obamas konnte dieser bislang nicht erfüllen.

Die Presse: Ist es als Nobelpreisträger einfacher, gegen autoritäre Systeme anzukämpfen?

Mohamed ElBaradei: Ja. Der Nobelpreis verleiht Glaubwürdigkeit. Das half mir in meinem früheren Job als IAEA-Chef, als ich für atomare Abrüstung kämpfte. Und auch heute in meinem Kampf für Demokratie in Ägypten. Egal welche Anschuldigungen Agenten des Regimes gegen mich erheben: Sie prallen von mir ab wie von Teflon.

Sie wollen mit Ihren Anhängern die Parlamentswahl in Ägypten am 28.November boykottieren. Warum nutzen Sie nicht dieWahlen als Chance?

In Ägypten herrscht das Kriegsrecht. Die Opposition hat keinen vernünftigen Zugang zu den Medien. Und in den vergangenen 30Jahren wurden Wahlen immer manipuliert. Wenn ich also von vornherein weiß, dass eine Wahl nicht frei und fair ist und trotzdem teilnehme, würde ich der Abstimmung und damit dem Regime eine Legitimität verleihen, die es nicht verdient. Hier kann man keine Kompromisse schließen.

Sind nicht all die jungen Leute, die für Sie kämpfen, wegen des Wahlboykotts enttäuscht?

Nein, die jungen Menschen verstehen, dass die staatlichen Strukturen in Ägypten keine Legitimität besitzen. Wenn das System Grundwerte wie Demokratie und Menschenrechte nicht einhält, muss man außerhalb des Systems arbeiten – so wie das in Südafrika während der Apartheid geschehen ist. Das tue ich, indem ich zum Wahlboykott aufrufe und Missstände wie Folter aufzeige. Es gibt keinen einzigen Tag, an dem nicht in Ägypten Demonstrationen stattfinden. Und es gibt keinen Tag, an dem nicht junge Menschen eingesperrt und misshandelt werden. Aber es gibt Bewegung in Richtung eines Wandels. Der Zug hat die Station verlassen und wird nicht mehr dorthin zurückkehren.

Werden Sie als Präsident Ägyptens kandidieren?

Nein, aus demselben Grund, aus dem wir die Parlamentswahl boykottieren. Unter den derzeitigen Bedingungen hat das keinen Sinn. Es ist völlig klar, dass das nächste Staatsoberhaupt aus der Regierungspartei kommt. Es sieht sogar so aus, als wolle Hosni Mubarak selbst nochmals kandidieren. Er wäre 84, wenn er erneut antritt. Es war nie meine Priorität, als Präsident zu kandidieren. Ich will, dass aus Ägypten eine funktionierende Demokratie wird.

Indem Sie nicht an den Wahlen teilnehmen, überlassen Sie aber radikalen Oppositionsgruppen wie den Muslimbrüdern das Feld.

Die Oppositionspolitiker, die an der Wahl teilnehmen, werden damit nicht sehr viel Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung gewinnen. Es ist doch jetzt schon klar, dass die Regierungspartei zwei Drittel der Parlamentssitze erhält. Da kann man keine seriöse Oppositionspolitik betreiben.

Stellen radikale Oppositionsgruppen wie die Muslimbrüder eine Gefahr für Ägypten und andere Länder der Region dar?

Die Muslimbruderschaft ist in Ägypten populär, weil sie Essen und Medikamente an die Armen verteilt und nicht korrupt ist. Sie hat Glaubwürdigkeit auch bei den Menschen erworben, die ihre Weltanschauung nicht teilen. Die Regierung hingegen kann nicht die Grundbedürfnisse der Bevölkerung stillen. Aber auch in einer freien und fairen Wahl würde die Muslimbruderschaft in Ägypten keine Mehrheit erhalten. Sie ist nicht al-Qaida, auch wenn sie von den Regimen in der arabischen Welt oft so dargestellt wird. Diese Regime wollen dem Westen sagen: Akzeptiert unsere autoritären Methoden, denn die Alternative ist viel schlimmer.

Die Bush-Regierung hat – zumindest offiziell – gesagt, sie wolle Demokratie in der arabischen Welt verbreiten. Außenministerin Condoleezza Rice mahnte die arabischen Führer zu mehr Demokratie. Die Obama-Regierung hat hingegen klar gemacht, sich nicht in interne Angelegenheiten anderer einzumischen. Welcher Zugang ist für Oppositionsführer wie Sie hilfreicher?

Ein Wandel muss immer von innen heraus stattfinden. Es ist eine Illusion zu glauben, man könne Demokratie von außen installieren. Ich vertraue auf die Menschen und nicht auf Regierungen. Denn Regierungen haben ihre eigenen, zynischen Interessen. Natürlich sollten aber auch Regierungen weltweit gegen Menschenrechtsverletzungen protestieren. Nicht nur die US-Regierung, sondern auch die Europäer, die in der Vergangenheit sehr untätig waren. Aber diese Reaktion sollte nicht nur die arabischen Länder betreffen und nicht aus geopolitischen Interessen erfolgen.

Seine Rede in Kairo und sein Versprechen, den Nahostkonflikt zu lösen, brachte Obama zu Beginn der Amtszeit in der arabischen Welt viel Sympathie ein. Wie wird er heute gesehen?

Als Obama in Kairo von wechselseitigem Respekt zwischen dem Westen und den Muslimen sprach, weckte er große Hoffnungen. Leider musste sich Obama nun vor allem um innenpolitische Probleme kümmern. Deshalb ist die Euphorie in der arabischen Welt einer großen Enttäuschung darüber gewichen, dass Obama nicht eingehalten hat, was er versprochen hat. Ich verstehe aber, dass Obamas Hände derzeit gebunden sind. Dazu kommt, dass die derzeitige Regierung in Israel die Spielregeln ändert und eine Zweistaatenlösung unterminiert. Je länger es dauert, eine Lösung zu finden, desto mehr wird der Nahe Osten radikalisiert.

Als eines der großen Probleme im Nahen Osten sehen die USA und die Europäer den Iran: wegen des iranischen Einflusses im Libanon und im Irak und wegen seines Atomprogramms.

Der Iran ist eine der stärksten Regionalmächte im Nahen Osten. Er hat eine andere Ideologie als der Westen. Bei Irans Nuklearprogramm gilt es noch einiges zu klären. Aber niemand – auch nicht der US-Geheimdienst – sagt heute, dass der Iran eine Nuklearwaffe baut. Ich sehe im Iran nicht die Gefahr, als die er dargestellt wird.

Ihr Nachfolger als IAEA-Chef, Yukiya Amano, hat da eine härtere Gangart. In einem IAEA-Bericht vom Februar hieß es, der Iran könnte versuchen, an einem Nuklearsprengkopf zu arbeiten.

Amano benutzt einen anderen Stil als ich, aber in der Substanz gibt es keinen Unterschied zwischen meinen und seinen Berichten. Er hat Bedenken wegen Teilen des iranischen Nuklearprogramms. Die hatte ich auch. Aber er sagt nicht, dass der Iran derzeit an einer Atomwaffe baut.

Laut „New York Times“ gibt es einen neuen Kompromissvorschlag der USA. Demnach sollte der Iran in Zukunft 2000 Kilogramm von schwach angereichertem Uran außerhalb des Landes zur Anreicherung bringen. Was denken Sie darüber?

Wenn der Iran das machen würde, wäre das gut. Aber ich habe meine Zweifel. Das Problem ist: Warum soll Teheran schon vor den Verhandlungen alle Trümpfe aus der Hand geben? Das hatte leider auch die Bush-Regierung gefordert. Erst Obama sagte, es gibt Verhandlungen ohne Vorbedingungen.

Die haben aber leider zu nichts geführt.

Ja, leider. Die Verhandlungen wurden ein Opfer der internen iranischen Probleme nach der Wahl von Präsident Mahmoud Ahmadinejad. Und jetzt wird die innenpolitische Lage in den USA schwieriger. Aber ich hoffe, dass wir im kommenden Jahr die Voraussetzungen für Verhandlungen finden. Der Iran könnte ein Schlüsselfaktor für Stabilität im Libanon, in Afghanistan und dem Irak werden – oder für Instabilität.

Zur Person

Mohamed ElBaradei studierte in Ägypten Rechtswissenschaften und startete danach eine Karriere als Diplomat bei den Vereinten Nationen in New York. Im Dezember 1997 wurde er Generalsekretär der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA in Wien.

Als IAEA-Chef geriet er in Konflikt mit der US-Regierung von Präsident George W. Bush. ElBaradei hatte im Vorfeld des Iran-Feldzuges immer wieder beteuert, dass es keine Anzeichen für ein irakisches Massenvernichtungswaffen-Programm gebe. 2005 erhielten ElBaradei und die IAEA den Friedensnobelpreis. 2009 gab ElBaradei sein Amt als IAEA-Chef an den Japaner Yukiya Amano ab. Seither ist ElBaradei politisch in seiner Heimat Ägypten aktiv und kämpft gegen das Regime von Hosni Mubarak.

ElBaradei ist einer der Gäste beim Nobelpreisträger-Seminar am 3. und 4. November in Wien. Thema ist heuer „Friedenspolitik und Menschenrechte“. Die Veranstaltung findet in Kooperation mit der „Presse“ statt.
Infos dazu: www.nobelvienna.at [Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2010)

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