Der Pharao lässt wählen, und das Ergebnis bestimmt er vorher

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Niemand weiß, wie lange der 82-jährige Präsident Hosni Mubarak das Land noch regieren können wird. Das ist der Grund, warum sich bei den Parlamentswahlen am Sonntag nichts bewegen wird.

Kairo. Wenn die Ägypter am Sonntag aufgerufen werden, zu den Urnen zu schreiten und ein neues Parlament zu bestimmen, nennt man das „Wahlen“. „Also machen wir eine Wahlveranstaltung“, dachten sich die Muslimbrüder am Wochenende in Alexandria. Doch kaum waren sie mit ihrem lokalen Kandidaten auf die Straße gezogen, setzte die Polizei dem Ganzen mit Knüppeln und Tränengas ein Ende.

Über hundert Muslimbrüder wurden verhaftet, Dutzende verletzt. Vielleicht lag es an den Slogans, mit denen die Anhänger von Ägyptens bestorganisierter islamistischer Oppositionsgruppe zuvor auf sich aufmerksam gemacht hatten. „Nein zum Wahlbetrug“, riefen sie. Gefolgt von einem „Ja zum Wandel“, einer Forderung, die nach drei Jahrzehnten Herrschaft des Präsidenten Hosni Mubarak von fast allen Ägyptern unterschrieben wird.

Nur bei ihrem letzten Slogan, „Islam ist die Lösung“, scheiden sich im Land die Geister. Niemand kann genau sagen, wie viel Unterstützung die Islamisten wirklich haben. Sie sind laut, sie schaffen es als eine der wenigen Oppositionsgruppen, ihre Anhänger auf der Straße zu mobilisieren, aber eine Mehrheit, glauben die meisten Beobachter, hätten sie nicht.

Herrscher bestimmt Opposition

Wie auch immer: Bei den nächsten Wahlen werden wir kaum etwas über die wahren Wahlpräferenzen der Ägypter erfahren – auch wenn Mubarak freie und transparente Wahlen ankündigte. Abdel-Halim Qandil, von der „Es reicht“-Bewegung: „Wer gewählt wird, das ist eine Art Befehl von oben. Das ist die Karikatur einer Wahl, in der die Herrscher die Regierung und die Opposition einfach bestimmen.“

In der Vergangenheit wurden Wähler der Opposition von der Polizei an der Abstimmung gehindert und am Ende des Wahltages die Urnen mit vorgefertigten Stimmzetteln aufgefüllt. Da waren die Ergebnisse bei Parlamentswahlen immer bereits im Vorfeld klar. Die Regierungspartei hat stets eine solide Zweidrittelmehrheit erhalten. Wenig spricht dafür, dass es diesmal anders sein soll.

Kaum Druck aus Washington

Nur im Drehbuch, wer diesmal die Opposition spielen soll, wird es voraussichtlich ein paar Veränderungen geben. Bei den letzten Wahlen hatten die Muslimbrüder ein Fünftel der Parlamentssitze erhalten. Das war 2005, in einer Zeit, in der man nach dem Irak-Krieg in Washington noch gern von der Demokratisierung der arabischen Welt sprach und Mubarak unter Druck stand, das Land am Nil politisch zu reformieren. Da kam es dem Regime recht, das Gespenst der islamistischen Machtübernahme in Ägypten ein wenig zu beleben. Nach dem Motto: „Wenn ihr unser diktatorisches Regime nicht unterstützt, dann kommen die.“

Aber das Ganze natürlich nur in Maßen: Als die Muslimbrüder im ersten Wahlgang „überraschend gut“ abgeschnitten hatten, sperrte die Polizei im zweiten Wahlgang die Wahllokale ab und ließ nur noch Anhänger der Regierungspartei durch, zumeist Beamte aus den jeweiligen staatlichen Institutionen im Wahlkreis.

Nur die Muslimbrüder werden wohl schlechter abschneiden. Sie haben ohnehin für die 508 Sitze nur 135 Kandidaten aufgestellt. Ein Fünftel von ihnen wurde im Vorfeld von der Wahlkommission disqualifiziert. „Sie werden nicht einmal ein Viertel ihrer Sitze behalten, auch weil die Regierungspartei die Präsidentschaftswahlen 2011 vorbereiten will“, prophezeit der Politologe Amar Ali Hassan. Wenn es darum geht, die Nachfolge für Mubarak über die Bühne zu bringen, sollen die Muslimbrüder also nicht stören. Und Reformrufe aus Washington sind verstummt. Übrig geblieben ist ein lahmer Aufruf der US-Regierung, dass man die Wahl genau beobachten werde.

Dennoch sind diese Wahlen nicht einfach nur ein weiteres Kapitel in Ägyptens trauriger neuerer Demokratiegeschichte. Sie sind ein Test für das politische Leben in einem Land, in dem alle darauf warten, wann der Präsidentschaft Hosni Mubaraks das genaue Ablaufdatum aufgestempelt wird. Mubarak ist 82 Jahre alt. Und selbst wenn er bei den Präsidentschaftswahlen nächstes Jahr noch einmal antritt, die Tage seiner Herrschaft sind gezählt. Niemand kann sagen, was in dem bevölkerungsreichsten arabischen Land nach ihm geschehen wird.

Muslimbrüder treten an

Die Opposition ist hin- und hergerissen, ob sie kandidieren soll oder nicht. Alle sind sich einig, dass die Wahlen ein Schauspiel sind. Doch die einen boykottieren die Wahl, um ihr keine Legitimität verleihen. Andere, allen voran die Muslimbrüder, treten an. Ihr Argument: Der Wahlkampf sei eine Chance, neue Anhänger zu gewinnen. Am Wahltag selbst wollen die Islamisten den Betrug entblößen.

Qandil von der Bewegung „Es reicht“ hat hingegen zum Wahlboykott aufgerufen – ebenso wie der ehemalige Chef der Atomenergiebehörde und Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei. Qandil vergleicht den Urnengang mit einem Fußballspiel, dessen Ergebnis bereits vor Spielbeginn klar ist: „Da steht jemand, der sagt, spiel hier im gegnerischen Feld. Der ist gleichzeitig dein Gegenspieler, der Schiedsrichter und derjenige, der die Regeln aufgestellt hat. Er bestimmt, wann es ein Tor und ein Foul gibt. Da ist es besser, das Feld zu verlassen.“

Am Ende wird es in Ägypten so sein wie im Rest der arabischen Welt. Wandel kommt nicht durch die Wahlurnen. Es ist die biologische Uhr der Herrscher, die irgendwann einmal zu ticken aufhört – und so die Chance zum Wandel bringt.

Auf einen Blick

Parlamentswahl. Am Sonntag wird in Ägypten ein neues Parlament gewählt – und der Sieger steht jetzt schon fest: Die Partei von Präsident Hosni Mubarak. Beobachter gehen wieder einmal von massivem Wahlbetrug aus. Auch aus diesem Grund kandidieren die wichtigsten Oppositionsparteien nicht, mit Ausnahme der islamistischen „Muslimbruderschaft“. Die Organisation hat beim letzten Urnengang, 2005, ein Fünftel der Parlamentssitze erhalten. Beobachter gehen allerdings davon aus, dass Mubarak das diesmal nicht mehr zulassen wird: Der Autokrat will ungestört die Präsidentschaftswahl 2011, und damit eventuell seine Nachfolge, vorbereiten. Denn unklar ist, ob der 82-Jährige noch einmal antreten und wie lange er noch regieren wird. Seit 1981 ist Mubarak an der Macht – und Ägypten im „Ausnahmezustand“. Demonstrationen etwa sind verboten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2010)

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