Wikileaks: Wien behindert Türkei-Beitritt

(c) AP (BURHAN OZBILICI)
  • Drucken

Mehr als 1700 Geheimdokumente aus der US-Botschaft in Wien kommen über die Aufdecker-Website Wikileaks an die breite Öffentlichkeit. Ein weiteres Dokument zeugt vom wachsenden türkischen Ärger über Österreich.

Wien. Österreich liegt zwischen Somalia und Kuba. Zumindest in der Statistik der Länder, die von den jüngsten Enthüllungen der Internet-Plattform Wikileaks betroffen sind. Die Aktivisten veröffentlichen seit Sonntag in Etappen insgesamt 250.000 geheime Dokumente aus der US-Diplomatie.

Platz eins belegt dabei der Irak, gefolgt von der Türkei und dem Iran, doch Österreich befindet sich schon im ersten Viertel. Das große Interesse der US-Diplomatie an Österreich liegt auch am UN-Standort Wien, wo sich so wichtige Einrichtungen wie die Atomenergiebehörde IAEA befinden.

Doch bei immerhin 1722 Dokumenten steht als Absender die bilaterale US-Botschaft in der Wiener Boltzmanngasse. Was weiß Wikileaks über Österreich? Darüber herrscht im Wiener Außenamt noch Rätselraten, denn die Plattform hält die meisten Akten mit Österreich-Bezug noch unter Verschluss.

Anzahl der Geheimakten
Anzahl der Geheimakten(c) Die Presse

„Revanche für 1683“

Einen Vorgeschmack liefert eine Unterhaltung des US-Staatssekretärs William Burns mit seinem türkischen Counterpart Feridun Sinirlioglu: Dieser beklagte sich bei Burns darüber, dass Österreich gemeinsam mit Frankreich und Zypern den türkischen EU-Beitritt „aus politischen Motiven“ behindere. Und noch mehr: Die Beziehungen zwischen Ankara und Wien seien „infiziert von den ethnischen Vorurteilen“ in Österreich.

Das Außenamt wies die Darstellung Sinirlioglus auf Anfrage der „Presse“ denn auch kategorisch zurück. „Das stimmt schlicht nicht. Die Türkei konnte bisher ein einziges Kapitel bei den Beitrittsverhandlungen abschließen, das war unter österreichischem EU-Vorsitz“, sagte Alexander Schallenberg, Sprecher von Außenminister Michael Spindelegger. In einem anderen Dokument zitiert der US-Botschafter in Ankara einen Funktionär der regierenden AK-Partei von Premier Recep Tayyip Erdoğan mit den Worten, man wolle sich für die (Niederlage bei der; Anm.) Belagerung Wiens 1683 revanchieren.

„Eine Art Marionette“

Der frühere Botschafter Österreichs in Teheran, Michael Postl, ein ausgewiesener Iran-Experte mit Farsi-Sprachkenntnis, findet sich ebenfalls in den öffentlich gewordenen Geheimdokumenten wieder. In einem vom österreichischen Außenministerium als „üblichen Gedankenaustausch unter Diplomaten“ gewerteten Gespräch hatte Postl seinen amerikanischen Kollegen unter anderem wenig Schmeichelhaftes über die iranische Gesundheitsministerin Marzieh Vahid Dastjerdi berichtet. Sie sei eine „Art Marionette“. Postl berichtete auch von einem Treffen mit dem früheren Präsidenten Akbar Hashemi Rafsanjani – dem vielleicht ersten eines westlichen Beobachters mit dem iranischen Politiker nach den umstrittenen Wahlen. Veränderungen seien nur im Iran selbst möglich, Einwirkung von außen sei nicht hilfreich. Am ehesten könne das Ausland helfen, indem man auf die Menschenrechtsverletzungen nach den Wahlen hinweise, meint Rafsanjani.

Im Visier der US-Dienste

Ins Visier der US-Dienste geriet Österreich auch durch seinen temporären Sitz im UN-Sicherheitsrat 2009 und 2010. In Richtlinien zur Informationsbeschaffung in der UNO vom Juli 2007 wird bei jedem Thema das Aushorchen der österreichischen Positionen verlangt. Doch nicht nur das: Die „berichtenden Beamten“ sind auch angehalten, möglichst viele Informationen über Gesprächspartner zu sammeln – bis hin zu den Nummern ihrer Kreditkarten und ihrer Flugmeilenkarten.

Wikileaks

Wikileaks wurde 2007 von dem Australier Julian Assange gegründet. Die Plattform publiziert geheime Dokumente, die von anonymen Quellen zugespielt werden. Breiter bekannt wurde sie mit der Veröffentlichung von geheimen Dokumenten zu den Kriegen in Afghanistan und im Irak.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.