Nichts zu gewinnen, alles zu verlieren

Nichts gewinnen alles verlieren
Nichts gewinnen alles verlieren(c) REUTERS (ANDREW WINNING)
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Ohne sie würden viele Missstände unentdeckt bleiben: Die Whistleblowers. Medien und die Internetplattform WikiLeaks sind auf sie angewiesen.

Bradley Manning fühlte sich einsam. Sehr einsam. Der 23-jährige US-Obergefreite war im Irak stationiert und litt unter seiner Außenseiterrolle als Homosexueller. Er muss ziemlich gelitten haben, denn seine Rache war fürchterlich: Manning ist angeblich die Quelle für die 250.000 Depeschen aus der US-Diplomatie, mit der die Enthüllungsplattform WikiLeaks seit einer Woche die Welt in Atem hält. Und für die 77.000 Militärdokumente aus dem Afghanistan-Krieg. Und für die fast 400.000 aus dem Irak-Krieg.

Jetzt ist Bradley Manning wieder einsam: Er sitzt in einer Zelle im Militärgefängnis Quantico, bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu 52 Jahre Haft. Er hatte sich in einem Internet-Chat gebrüstet, die geheimen Dokumente weitergegeben zu haben – doch sein Online-Gesprächspartner verpfiff ihn beim FBI. Auch der beste Informantenschutz ist manchmal zu wenig, weil man die Informanten vor einem nicht schützen kann: vor sich selbst.

Für Daniel Ellsberg ist die Sache damals glimpflich ausgegangen: Ellsberg ist jener Mann, der Anfang der 70er-Jahre 7000 Seiten streng geheimer Pentagon-Akten über den Vietnamkrieg Zeitungen zuspielte. Ursprünglich wollte er das Material Kriegsgegnern im Senat übergeben, doch denen war die Sache zu heiß. Ellsberg wurde damals als „der gefährlichste Mann der Welt“ apostrophiert. Er gab diesen Titel jüngst an WikiLeaks-Gründer Julian Assange weiter, den er offenbar für einen würdigen „Nachfolger“ hält.

Der 1931 geborene Ellsberg war während des Vietnamkriegs ein brillanter Analyst im US-Verteidigungsministerium, später ging er für das Außenministerium selbst nach Vietnam. Ihm wurde rasch klar: Der Krieg war nicht zu gewinnen – eine Einschätzung, die nahezu alle in verantwortlichen Positionen tätigen Personen zu teilen schienen. Freilich: Sie öffentlich zu vertreten, wagte kaum jemand.

Nach den ersten Veröffentlichungen der Papiere in „New York Times“ und „Washington Post“ untersagte ein Bundesgericht die weitere Publikation, eine Reihe von Zeitungen ließ sich davon aber nicht abschrecken. Als die „New York Times“ am 13. Juni 1971 mit dem Abdruck begann, soll US-Präsident Richard Nixon zu seinem Berater Henry Kissinger gesagt haben: „Bringt diesen Hurensohn (gemeint war Daniel Ellsberg; Anm.) hinter Gitter!“


Verfahren eingestellt.
Die Veröffentlichung der „Pentagon-Papiere“ führte zu einer breiten Diskussion über die Sinnhaftigkeit des Vietnamkrieges und über die Pressefreiheit. Die „Washington Post“ weigerte sich, die Publikation der brisanten Dokumente einzustellen, der Fall landete vor dem Obersten Gerichtshof, der der Zeitung schließlich recht gab. Ellsberg wurde – wie heute Assange – gerichtlich verfolgt, nach dem Watergate-Skandal wurde das Verfahren wegen unerlaubten Besitzes und Diebstahls von Staatsgeheimnissen aber eingestellt.

Watergate war der nächste Triumph der US-Medien über die Staatsgewalt. Es ging es um einen Einbruch in das Watergate-Hotel, wo enge Mitarbeiter Nixons bei politischen Gegnern „schnüffelten“. Aufgedeckt wurde der Skandal durch die zwei „Washington Post“-Reporter Bob Woodward und Carl Bernstein. Sie beriefen sich auf ihren Hauptinformanten „Deep Throat“ – eine zotige Anspielung auf den gleichnamigen Pornofilmhit aus jener Zeit. Erst drei Jahre vor seinem Tod wurde der einstige, mit den Watergate-Ermittlungen bestens vertraute stellvertretende FBI-Direktor Mark Felt als Informant geoutet – allerdings mit dem Wissen seiner Familie, die ihn als „amerikanischen Helden“ sah.

Was die sogenannten „Whistleblower“ aus aller Welt eint, ist eine Grundüberzeugung: „Die Bürger sollen ruhig erfahren, was die da oben in ihrem Namen hinter verschlossenen Türen beschließen“, bringt es Herr Meyer auf den Punkt. Herr Meyer, der im echten Leben ganz anders heißt – und vielleicht eine Frau ist – wandte sich an „Die Presse“, weil ihm die politischen Spielchen bei der Entstehung eines Gesetzes in Österreich „gegen den Strich“ gingen. Und nicht nur das. Vorsichtig ausgedrückt war der Prozess der Entscheidungsfindung mit bestehenden Rechtsnormen nicht kompatibel. Nein, sagt er heute, persönlich hatte er außer nie bewiesenen Verdächtigungen im eigenen Ressort nichts davon. Ihm sei es um demokratische Prinzipien gegangen. Wenn er damit etwas verbessern könne, würde er es wieder tun.

Es sind solche Menschen, die unabhängigen Medien die Kontrollfunktion als „vierte Gewalt“ erst ermöglichen. Dabei haben sie nichts zu gewinnen und alles zu verlieren. Auch wenn sie einen Missstand aufdecken, mithilfe von Medien veröffentlichen und im Idealfall sogar abstellen, machen sich „Whistleblowers“ nach den Buchstaben des Gesetzes oft strafbar. Besonders, wenn sie als Staatsbedienstete an das Amtsgeheimnis gebunden sind.


Konspirative Verhältnisse. Das führt zu berechtigter Angst vor Enttarnung. Solche Kontakte finden daher tatsächlich oft unter konspirativen Verhältnissen statt. Gespräche mit registrierten Mobiltelefonen sind tabu, schriftliche Korrespondenz läuft mittels guter alter Post. Notwendige Treffen finden vorzugsweise an unübersichtlichen. lauten Orten wie Einkaufszentren statt, das Handy bleibt in der Redaktion. Man weiß nie, ob im Ernstfall nicht doch jemand auf die (illegale) Idee kommt, die Bewegungsprofile der Mobiltelefone abzugleichen.

In unseren Breiten sind die Repressalien subtil. Oft reicht schon der Verdacht aus, um mögliche Whistleblower in ihrer Karriere zu behindern. Ein Umstand, den auch der Europarat am österreichischen System bemängelte. In einem vor zwei Jahren vorgestellten Bericht wird in offenen Worten kritisiert, dass Beamte, die intern Probleme aufzeigen wollen, kaum Schutzmechanismen genießen, sondern vielmehr als Nestbeschmutzer wahrgenommen würden. Ihnen bleibt oft keine andere Möglichkeit, als sich einem Journalisten anzuvertrauen.

„Das kann gefährlich sein“, sagt Guido Strack vom deutschen Whistleblower-Netzwerk. Der Verein setzt sich international für einen stärkeren Schutz von Informanten ein. Die Gruppe besteht aus knapp 65 Personen. Viele haben bei ihrem Arbeitgeber zunächst intern auf Probleme aufmerksam gemacht. Als sich nichts änderte, wandten sie sich an Medien. „In solchen Fällen liegt für die Betroffenen der Verdacht nahe, wo sich das Leck befindet.“ Die Folge sind Mobbing, Verleumdung, manchmal Kündigung. So wie im Fall eines Hamburger Bankers, der Insidergeschäfte aufdeckte. Obwohl er half, eine Straftat aufzuklären, prozessiert der Mann seit 13 Jahren gegen seine Kündigung.

Motiv: Karriere. Nicht immer sind die Beweggründe der Einflüsterer ritterlich. Manchmal öffnet sich für einen Journalisten der Aktenordner nur, weil sich jemand übergangen fühlt. Frau Schmidt, die vielleicht auch Herr Bauer heißt, ist so jemand. Sie hatte es auf den Posten ihres Chefs abgesehen. Der „Presse“ verheimlichte sie ihre Motive nie, sagte aber dazu, mithilfe der Unterlagen vielleicht eine Straftat nachweisen zu können. Die Story erschien, das Vorverfahren bei der Staatsanwaltschaft läuft, Frau Schmidt sitzt inzwischen im Chefsessel.

Manchmal ist es umgekehrt: US-Bürger Scott Ritter rückte mit der Wahrheit heraus, als er nicht mehr im Chefsessel saß. Dann aber ordentlich: Unter seinem Namen und in Buchform belegte der Ex-Chef-Waffeninspekteur im Irak 2003, was viele vermutet hatten: Einen Beweis für die Existenz von Massenvernichtungswaffen habe es nie gegeben. Ritter kritisierte den Irak-Krieg als „illegalen Aggressionskrieg“ mit vorgetäuschten Rechtfertigungsgründen. Bush sei gar nicht daran interessiert gewesen, dass die UN-Waffeninspekteure ihre Arbeit zu Ende führen. Das Ziel sei das Ende des Regimes von Saddam Hussein gewesen: „Bush hat das US-Volk und den Kongress belogen.“


Wie ein Thriller. Dieser Meinung war auch Joe Wilson. Die Story von ihm und seiner Frau Valerie Plame liest sich wie das Drehbuch eines Hollywood-Thrillers. Sie eine Topagentin bei der CIA, beauftragt mit der Infiltrierung von Saddam Husseins Waffenprogramm, er ein angesehener US-Diplomat, der vom damaligen Vizepräsidenten Dick Cheney in den Niger geschickt wurde. Saddam kaufe dort Uran zur Herstellung von Atomwaffen an, vermutete die US-Regierung, und Wilson sollte Beweise dafür erbringen. Seine ernüchternde Erkenntnis: Die Vorwürfe der US-Regierung waren haltlos.

Dennoch waren Bush und seine Gefolgsleute wild entschlossen, die Invasion zu starten. „Sie haben die Argumente, die für einen Krieg sprachen, frei erfunden. Der Krieg stand in keinerlei Zusammenhang mit unserer nationalen Sicherheit“, sagt Wilson im Gespräch mit der „Presse“. Er entschloss sich daher, mit der Wahrheit an die Öffentlichkeit zu gehen. Im Juli 2003, wenige Monate nach Beginn des Krieges, erschien in der „New York Times“ der Artikel „What I didn't find in Africa“. Eine Woche später wurde seine Frau als CIA-Agentin enttarnt. Leute aus dem Umfeld der Bush-Regierung hatten ihren Namen aus Rache an Journalisten weitergegeben.

Plames Karriere als CIA-Agentin war zerstört: „Meine Informanten gerieten durch die Veröffentlichung meines Namens in höchste Gefahr“, sagt sie. In weiteren, wohl platzierten Artikeln wurde das Paar desavouiert. Zur Rechenschaft gezogen wurde dafür einzig Lewis Libby, Ex-Berater Cheneys, der im Oktober 2005 zu einer Haftstrafe verurteilt wurde – die ihm Bush freilich erließ.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2010)

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