US-Politik in der Sackgasse: Obama sucht Exitstrategie

Barack Obama verirrt PolitLabyrinth
Barack Obama verirrt PolitLabyrinth(c) REUTERS (KEVIN LAMARQUE)
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Die Schlappen des US-Präsidenten: vom Steuerstreit über die Atomabrüstung bis zu Nahost. Daheim machen ihm die Republikaner das Leben zur Hölle – und im Ausland WikiLeaks.

Washington D.C. Für eine knappe Stunde hatte es den Anschein, als hätte Bill Clinton erneut das Kommando im Weißen Haus übernommen. So, als wäre der Tausendsassa nie weggewesen, dozierte der Ex-Präsident über die großen ökonomischen Zusammenhänge und die kleinen politischen Finten. Mit seinem ganzen Arsenal an Tricks – dem erhobenen Zeigefinger und der verbissenen Unterlippe – warb der populärste US-Politiker eindringlich für den Steuerkompromiss Barack Obamas mit den Republikanern, der im Lager der Demokraten auf so erbitterten Widerstand stößt.

Während im Kapitol Senator Bernie Sanders, selbst ernannter Sozialist aus Vermont, in einer achteinhalbstündigen Suada gegen den Steuerdeal des Präsidenten zu Felde zog, blickte ein paar hundert Meter entfernt Obama mit verschränkten Armen seinem Vorvorgänger über die Schultern und ließ ihn reden und reden – bis er sich mit den Worten „Sie sind bei ihm in guten Händen“ zu einer Weihnachtsparty verabschiedete und Clinton das Podium überließ.

Von der Innenpolitik bis zur Außenpolitik liegt vor der Obama-Regierung ein Labyrinth der Obstruktion. Die Republikaner blockieren die symbolbeladene Öffnung der Streitkräfte für Homosexuelle („Don't ask, don't tell“) und die Atomabrüstung mit Russland. Afghanistan versinkt im Morast, in Nahost ist Obama zerknirscht an den Start zurückgekehrt – und die WikiLeaks-Affäre stürzt die US-Diplomatie in arge Verlegenheit.

Zornige Demokraten

Am schärfsten tritt der Konflikt in der Steuerdebatte zu Tage. Ein Kompromiss über eine Verlängerung der Steuervergünstigungen aus der Bush-Ära für wohlhabende Amerikaner mit Jahreseinkommen über 250.000 Dollar erzürnt die Demokraten. Besonders erbost sind sie über die Herabsetzung der Erbschaftssteuer und Ausnahmeregelungen für Millionäre. Der Präsident habe sich von der Opposition erpressen lassen.

Nicht einmal Vizepräsident Joe Biden, als langjähriger Senator hoch angesehen, konnte die Gemüter in der Fraktion beruhigen. Die demokratischen Führer pochen auf Nachbesserungen des Steuerpakets. Der Präsident zweifelt indes nicht daran, dass das Gesetz scheitern könnte. Chef-Ökonom Larry Summers schätzt, das Stimulus-Programm könnte mehr als zwei Millionen Jobs schaffen – die freilich mit 900 Milliarden Dollar ziemlich teuer erkauft wären.

Bei der Zulassung von Homosexuellen zum Militär und beim Abrüstungsvertrag mit Moskau beginnt der Widerstand allmählich zu bröckeln. Führende Militärs plädieren für eine Aufhebung der „Don't ask, don't tell“-Formel, die besagt, dass Homosexuelle im Militär ihre sexuelle Ausrichtung verschweigen müssen. Eine Garde prominenter republikanischer Politiker – von George Bush sen., Henry Kissinger bis zu Colin Powell – tritt für eine Ratifizierung des Atomabkommens ein. Ein Silberstreifen für Obama.

Nichts charakterisiert die Transformation Obamas nach dem Debakel der Kongresswahlen besser als die Sternstunde Clintons im Weißen Haus. Unter den Demokraten verkörpert niemand den Wandel vom idealistischen Hoffnungsträger der Baby-Boomer-Generation, beseelt von der Kennedy-Ära und abgestoßen von Watergate-Skandal, zum machtbewussten Pragmatiker besser als das „Comeback-Kid“ aus Arkansas.

Zwei ungleiche Politiker

Dabei könnten die beiden Politiker, die sich im Präsidentschaftswahlkampf 2008 noch in die Haare geraten waren, nicht unterschiedlicher sein: da der charismatisch-coole Obama, dort der hitzköpfige, gewitzte Südstaatencharmeur Clinton. „Wir haben ein Jahr lang politisches Kabuki gespielt“, erinnerte sich Clinton mit wohligem Schaudern an die Schaukämpfe mit seinem republikanischen Widersacher Newt Gingrich.

Es ist, als hätte Clinton das Drehbuch für den zweiten Akt der Obama-Präsidentschaft geschrieben. Wie Obama hatte er eine Wahlschlappe erlitten, die ihn die Mehrheit im Kongress kostete; wie Obama enttäuschte er die Hoffnungen der Liberalen und rückte in die Mitte, um seine Wiederwahl zu sichern. Die Strategie Obamas zielt klar auf die unabhängigen Wähler, die sich frustriert von ihm abgewendet haben. Den Liberalen und Konservativen fuhr er gleichermaßen in die Parade: Die Nation ticke eben nicht nach den Editorials der „New York Times“ oder des „Wall Street Journal“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13. Dezember 2010)

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