Kosovo-Premier Chef der Organmafia?

(c) AP (VISAR KRYEZIU)
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Dick Marty, der Sonderermittler des Europarats, will beweisen, dass die Kosovo-Befreiungsarmee Serben und Albaner getötet hat, um ihre Organe zu verkaufen. Anführer soll der heutige Premier Thaçi gewesen sein.

Sarajewo/Prishtina . Man behandelte die Gefangenen eine Zeit lang relativ gut: Sie erhielten ausreichend Nahrung und Schlaf, wurden sogar ärztlich untersucht. Sie wurden noch gebraucht, denn sie dienten als Organreservoire. Wenn der Transplantationsarzt kam, führte man sie aus dem Haus und tötete sie per Kopfschuss.

Der Tatort: Albanien, 1999. Die Täter: Angehörige der Kosovo-Befreiungsarmee UÇK. Verantwortlich: angeblich der heutige Premier des Kosovo, Hashim Thaçi. Dies legt zumindest ein nun veröffentlichter Bericht des Europarat-Ermittlers Dick Marty nahe, der gegen Thaçi und die von ihm geführte „Drenica-Gruppe“ innerhalb der UÇK schwerste Vorwürfe erhebt. Vorwürfe, die die Beschuldigungen des Wahlbetrugs beim Urnengang vom vergangenen Sonntag plötzlich als harmlos erscheinen lassen. Thaçi, für den die Unschuldsvermutung gilt, bestreitet freilich alle Vorwürfe. Seine Partei weist sie als „Lügen“ zurück und kündigt rechtliche Schritte an.

Trotzdem verabschiedete der Ausschuss der Parlamentarischen Versammlung des Europarats am Donnerstag einstimmig eine Resolution, wonach die Vorwürfe untersucht werden sollen.

Organe ins Ausland verkauft

Marty sprach zuvor von „erheblichen Beweisen“. Während des Kriegs und unmittelbar danach, als unter chaotischen Verhältnissen die serbische Truppen abzogen und Nato-Soldaten einmarschierten, existierte die Grenze zu Albanien praktisch nicht mehr. Diesen Umstand konnten sich die kriminellen Elemente in der UÇK zunutze machen und im Norden Albaniens Serben sowie einige KosovoAlbaner in geheimen Gefängnissen „unmenschlicher und erniedrigender Behandlung aussetzen, bevor sie schließlich verschwanden“, wie es in dem Bericht heißt. In einer Behelfsklinik seien einigen Gefangenen Organe entnommen worden, die auf dem internationalen Schwarzmarkt an ausländische Kliniken verkauft worden seien.

Die Anschuldigungen an sich sind nicht neu: Sie wurden schon im Februar 2004 erhoben, als eine Gruppe von Ermittlern des UN-Kriegsverbrechertribunals Den Haag und der den Kosovo verwaltenden UN-Mission das sogenannte „gelbe Haus“ in Rripe, Zentralalbanien, besuchten. Es hatte Gerüchte gegeben, dass dort Gefangenen Organe entnommen worden waren. Marty nennt diese Untersuchungen heute „oberflächlich und unvollständig“. Blutspuren seien nicht mit aller forensischen Sorgfalt untersucht worden.

Tödliche Recherche

Danach setzten sich Dutzende internationale Journalisten auf diese Spur, konnten jedoch letztlich keine Beweise finden. Vor allem konnte nicht geklärt werden, wie die Organe, von denen manche nach wenigen Stunden verpflanzt werden müssen, von den albanischen Bergen zu den Empfängern transportiert werden könnten.

Diese wichtige Frage will Marty nun geklärt haben: Das „gelbe Haus“ sei nämlich nur eine Durchgangsstation für die Gefangenen gewesen. Tatsächlich ermordet und ausgeweidet habe man sie in einem anderen Geheimkerker in Fushë Krujë. Denn von diesem Ort ist es nicht weit bis zum internationalen Flughafen der Hauptstadt Tirana. Marty erklärte, er habe nach intensiven Recherchen mit internationalen und albanischen Akteuren, darunter auch einigen der damaligen Mittäter, gesprochen und Beweismaterial zusammengestellt. Im April 2008 hatte die ehemalige Chefanklägerin des Haager Tribunals, Carla del Ponte, ihre Memoiren herausgegeben, in denen das Thema aufgegriffen wurde.

Wie gefährlich Recherchen in diesem Bereich sein können, zeigt das Beispiel des französischen Journalisten Xavier Gautier, der nach umfangreichen Recherchen beweisen wollte, dass in bosnischen Lagern und Gefängnissen 1994 Organe entnommen und mit UN-Flugzeugen von Mostar nach Genf gebracht worden waren. Er wolle ein Buch darüber schreiben, erklärte er dem Verfasser bei einem Gespräch in Mostar im Frühjahr 1994. Vier Wochen später wurde Gautier in dem Haus seiner Eltern in Spanien erhängt aufgefunden, sein gesamtes Material war verschwunden. Alle Freunde und Verwandten negierten die von Behörden behaupteten Selbstmordabsichten.

Organhandel bis heute

Der Fall Gautier beweist, dass auch internationale Täter an solchen Aktivitäten beteiligt sein können. Marty erklärt aber lediglich, die diplomatische und politische Unterstützung der USA und anderer westlicher Länder habe Thaçi nach dem Kosovo-Krieg den Eindruck gegeben, „unberührbar“ zu sein. Die EU, die USA und die UN hätten aus Sorge um die Stabilität des Landes nichts gegen kriminelle Aktivitäten der einstigen Guerilleros unternommen.

Organhandel im Kosovo gebe es bis heute, erklärt Marty und verweist auf Ermittlungen der EU-Mission Eulex, die im Oktober in der Medicus-Klinik in Prishtina fünf Personen, darunter Ärzte und ein Beamter des Gesundheitsministeriums, unter dem Vorwurf des Organhandels festnahm.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2010)

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