Russische Agentenlawine rollt in den Westen

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Zuletzt häuften sich spektakuläre Enttarnungen russischer Spione. Kein Zufall, denn Moskaus Agenten werden im Westen zusehends aktiver. Dieser Trend hängt mit Wladimir Putins Aufstieg an die Staatsspitze zusammen

Die Fälle hatten sich zuletzt so auffällig gehäuft, sodass man nicht mehr recht von einem Zufall ausgehen mag: Die 25-jährige Mitarbeiterin des britischen Parlamentariers Mick Hancock – als mutmaßliche Spionin enttarnt. Ein russischer Diplomat in London, der, als Agent aufgeflogen, seine Sachen packen muss. Zwei russische Diplomaten in Madrid, die vor wenigen Wochen außer Landes gebracht wurden. Ein russischer Kleinunternehmer, der in Polen für drei Jahre hinter Gitter muss. Vorwurf: Spionage für den russischen Militärnachrichtendienst GRU. Enttarnte russische Spione auch in Georgien. Und schließlich, schon im Sommer, der Agentenkrimi um jene zehn aufgeflogenen Spione in den USA, zu denen auch die rothaarige Anna Chapman gehört, die mittlerweile in Moskau als Fotomodell Furore und als Spitzenfunktionärin der Jugendorganisation „Junge Garde“ Werbung für den Kreml macht.

Was ist los mit den russischen Agenten? Arbeiten sie schlicht dilettantisch, wie es böse Zungen von Chapman und Co. behauptet haben? Oder wird der Westen derzeit von einer Agentenlawine überrollt – daher die vielen Enttarnungen?

Österreich nur ein Nebenschauplatz

Der Russland-Experte der Wiener Landesverteidigungsakademie (LAVAK), Martin Malek, glaubt an eine gesteigerte Aktivität. Zahlen kann er zwar keine nennen, jedoch: „Nach dem Jahr 2000 sind die russischen Dienste gerade im Ausland drastisch aktiver geworden.“ Dieser Trend hängt mit Wladimir Putins Aufstieg an die Staatsspitze zusammen: Er, der frühere KGB-Agent, hievte Personen aus Geheimdienstkreisen – die sogenannten „Silowiki“ – in Spitzenpositionen und stärkte damit den Einfluss der Dienste nicht nur im Inneren, sondern auch im Ausland.

Obwohl sich Wien im Juli in der aufregenden Rolle als Spionagedrehscheibe durchaus gefallen hat, zählt Malek Österreich, wenn es um die Aktivitäten der Geheimdienste geht, zu einem „Nebenschauplatz“. Russlands Geheimdienste seien vor allem in den Vereinigten Staaten und anderen Nato-Ländern tätig. „Österreich ist zu klein, politisch zu unwichtig und hat nur wenig Hochtechnologie, hinter der die Moskauer Dienste traditionell her sind.“ Deutschland sei vergleichsweise „gefährdeter“.

Nach den WikiLeaks-Enthüllungen sieht Malek die russischen Geheimdienste klar im Vorteil. „Statt umständlicher Arbeit, um in den Besitz von US-Geheimdepeschen zu kommen, steht jetzt alles gratis im Internet“, sagt Malek. „Russische Geheimdienstler dürften sich totgelacht haben.“ Zudem seien Moskaus Dienste viel besser geschützt als westliche, urteilt der Sicherheitsexperte und erwartet daher keine nennenswerten WikiLeaks-Enthüllungen über russische Staatsgeheimnisse. Warum Julian Assange die bereits angekündigten Russland-Memos bisher nicht veröffentlicht habe, könne aber auch einen anderen Grund haben: „Dann würde die Lebenserwartung von Herrn Assange sofort unkalkulierbar.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2010)

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