EU-Ratsvorsitz: Die Traumata des Viktor Orbán

Traumata Viktor Orbn
Traumata Viktor Orbn(c) EPA (OLIVIER HOSLET)
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Mit der Absegnung des umstrittenen Mediengesetzes stolpert Ungarn in den EU-Ratsvorsitz. Die Regierung Orbán will alle Macht an sich reißen – um künftige Niederlagen zu verhindern.

Erschallen die obligaten „Viktor, Viktor!“-Sprechchöre im Kreise seiner Sympathisanten huscht ein kindlich-schelmisches und zugleich scheues Lächeln über das Gesicht von Viktor Orbán. Dieses Lächeln ist nicht das selbstbewusste Lächeln eines Mannes, für den ein Leben als Politiker von der Pike auf wie selbstverständlich vorgezeichnet war.

Es ist das Lächeln eines Menschen, der unter rauen bäuerlichen Verhältnissen in der Provinz aufgewachsen ist und als junger Dissident im Zuge der Wende 1989/1990 jäh zum Star der ungarischen Politik aufstieg. Ein Lächeln, in dem auch der Minderwertigkeitskomplex eines „Provinzlers“ mitschwingt.

Kein anderer hat die Politik Ungarns in den vergangenen 20Jahren dermaßen geprägt wie Viktor Orbán,sei es als wortgewaltiger Oppositionsführer oder als gewiefter Machttechniker an der Regierung. Nun hat der ehemalige Bauernjunge aus der verschlafenen Ortschaft Alcsútdoboz die einmalige Möglichkeit, auch international für Furore zu sorgen.

Umstrittenes Gesetz besiegelt. Mit dem heutigen 1.Jänner übernimmt Ungarn den Ratsvorsitz der EU. Orbán wird ein halbes Jahr lang im Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit stehen. Die Vorzeichen für eine erfolgreiche ungarische Präsidentschaft sind denkbar schlecht. Der Regierung wird nichts Geringeres als Aushöhlung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vorgeworfen. Jüngstes Vergehen: die Verabschiedung eines restriktiven Mediengesetzes, das in den Augen vieler die Meinungs- und Pressefreiheit mit Füßen tritt. Am Donnerstag besiegelte es Präsident Pal Schmitt mit seiner Unterschrift – zwei Tage vor Beginn des EU-Vorsitzes.

Wie konnte Orbán von einem ehemaligen Vorkämpfer für die Demokratie in Ungarn zu einem Machthaber mutieren, der gar mit dem weißrussischen Autokraten Alexander Lukaschenko verglichen wird? Was treibt den Regierungschef an, dass er so weit geht, an den Grundfesten der jungen ungarischen Demokratie zu rütteln?

Eine Antwort könnte darin liegen, dass Orbán in der Ära des von KP-Chef János Kádár geprägten Gulaschkommunismus aufwuchs, der ungarischen Variante des real existierenden Sozialismus. Den Menschen wurden damals zwar kleine unternehmerische Freiheiten gewährt, ansonsten jedoch beherrschte Väterchen Staat sämtliche Lebensbereiche. Die Staatsgläubigkeit ist für weite Teile der Gesellschaft auch heute noch kennzeichnend. Gerade dieser Denkweise vieler Ungarn bedient sich der Populist Orbán geschickt.

Orbán erkannte ebenso scharfsichtig, dass das Gros der Magyaren mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht viel am Hut hat. Aus Erhebungen geht hervor, dass sich die Mehrheit der Ungarn politische Führer wünscht, die das Land mit starker Hand leiten. Diese Sehnsüchte trachtet Orbán nun zu erfüllen. Die parlamentarische Zweidrittelmehrheit der Regierungspartei Fidesz kommt ihm dabei zugute.

Das furiose Tempo wiederum, mit dem Orbán und seine Regierung daran gingen, alle politische Macht in Ungarn an sich zu reißen und die politischen Gegner kleinzukriegen, lassen sich auf zwei Traumata des Premiers zurückführen. Trauma Nummer eins: die Parlamentswahlen 2002. War Orbán als Regierungschef (1998–2002) damals als haushoher Favorit in die Wahl gegangen, zog er gegen den weit unbegabteren Kandidaten der Linken, Péter Medgyessy, letztlich den Kürzeren. Indem er nun seine Macht so früh zementiert, will Orbán bei den Parlamentswahlen 2014 offenbar ein Schlamassel wie jenes von 2002 verhindern.

Das zweite Trauma wurde Orbán ausgerechnet von seinem Gegenspieler aus den Reihen der Sozialisten, Expremier Ferenc Gyurcsány (2004–2009), zugefügt. Vor der Parlamentswahl 2006 kam es zwischen den beiden in einem TV-Duell zum Showdown. Für Orbán war es ein Desaster: Vor Millionen Zusehern wurde er von Gyurcsány regelrecht in Grund und Boden geredet. Die Schmach im Rededuell war vermutlich ausschlaggebend dafür, dass Orbán die Wahl erneut verlor.

Orbán rappelte sich aber sowohl 2002 als auch 2006 wieder auf. Dies zeugt einerseits von seiner Zähigkeit und seinen Steherqualitäten, andererseits von seinem unbedingten Willen zur Macht. Wäre Orbán nämlich nicht ein besessener Machtmensch, wäre er von Fidesz nach zwei Wahlniederlagen längst abserviert worden. Orbán blieb jedoch im Sattel, in dem er heute fester sitzt als jemals zuvor.

Viktor Orbán
wird am 31.Mai 1963 in Székesfehérvár geboren. Er studierte Jus in Budapest.

1988
war er einer der Gründer des Bundes Junger Demokraten (Fidesz). Er wurde durch eine Rede bekannt, in der er sich für den Abzug der sowjetischen Soldaten aussprach.

Von 1998 bis 2002
war Orban erstmals Regierungschef. 2002 verlor er die Wahl gegen den Sozialisten Medgyessy.

Seit Mai 2010
ist das Kabinett OrbánII im Amt. Im Parlament verfügt Fidesz über eine Zweidrittelmehrheit.
Reuters

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.01.2011)

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