Regierung soll Tunesien wieder zur Ruhe bringen

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Tunesien nach der Revolution. Drei Oppositionsparteien werden an der Macht beteiligt, doch auch die Partei des gestürzten Diktators bleibt eingebunden. Die Islamisten stellen keine Minister.

Nach den Schießereien vom Sonntag schlug in Tunis am Montag die Stunde der Politiker. Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi, seit zwölf Jahren im Amt und treuer Gefolgsmann des geflüchteten Expräsidenten Ben Ali, stellte am Montag seine neue Regierung vor. Ihr gehören die Spitzenpolitiker der wichtigsten drei Oppositionsparteien, drei Gewerkschafter, einige Unabhängige und eine Reihe Mitglieder der RCD an, die bisher faktisch allein regierte.

Ihr werden die Schlüsselressorts Außen, Innen, Verteidigung und Finanzen zufallen. Bei der Vorstellung der neuen Minister kündigte Ghannouchi die Freilassung all jener an, die im Zusammenhang mit den Unruhen festgenommen worden waren.

Mehr Opportunisten als Helden

Im Parteilokal der Demokratischen Fortschrittspartei (PDP), das am Sonntagabend noch aus fahrenden Autos heraus beschossen wurde, herrscht eine aufgeregte Diskussion. Parteichef Nejib Chebbi, der vermutlich bekannteste unter den in der Öffentlichkeit weithin unbekannten Oppositionspolitikern, wird Minister für regionale Entwicklung. Um den 66-jährigen Rechtsanwalt, der vor allem unter den westlichen Botschaftern hohes Ansehen genießt, von den Präsidentschaftswahlen von 2009 auszuschließen, hatte das Regime damals ein auf ihn maßgeschneidertes Gesetz – das Chebbi-Gesetz, wie es schon bald hieß – erlassen.

Ist es richtig, in eine Regierung einzutreten, deren Minister zur Hälfte der alten Staatspartei angehören? Ahmed Bouazi, Mitglied des Exekutivkomitees der Partei, ist für Differenzierung. Von den elf Millionen Tunesiern sind 2,5 Millionen Mitglieder der RCD. Die allermeisten traten der Partei nicht aus Überzeugung bei, sondern wegen der Aussichten auf eine Arbeitsstelle, vielleicht aus Karrieregründen. „Es gibt in allen Ländern der Welt mehr Opportunisten als Helden“, sagt Bouazi, „aber an wessen Händen Blut klebt oder wer in die Korruption verstrickt ist, darf nicht Minister werden.“ Aber natürlich gebe es auch viele fähige Kader in der RCD, die sich die Hände nicht schmutzig gemacht hätten.

Zu ihnen gehöre sowohl der Außen- wie der Innenminister. Beide bleiben im Amt. Außenminister Kamel Morjane soll vergangene Woche, bevor Ben Ali die ersten Konzessionen machte, aus Protest gegen die Repression seinen Rücktritt angeboten haben. Innenminister Ahmed Friaâ ist erst seit vergangenem Mittwoch im Amt. Ben Ali wollte unter dem Druck der Unruhen sein Image auffrischen und entließ dessen verhassten Vorgänger, der die tödlichen Polizeieinsätze zu verantworten hatte. Um Staat und Partei klar zu trennen, habe sich die RCD bereits verpflichtet, sagt Bouazi, die Parteizellen in den staatlichen Institutionen aufzulösen. Drei Kommissionen wurden zudem eingesetzt: Sie sollen politische Reformen ausarbeiten, Korruptionsfälle untersuchen und den Tod von 50 bis 100 Demonstranten klären.

Nur noch vereinzelt Schüsse

Das Büro des Demokratischen Forums für Freiheit und Arbeit (FTDL) ist genauso schlicht ausgestattet und genauso schwierig zu finden wie jenes der PDP Chebbis. Wie die PDP war unter der Diktatur die FTDL zwar zugelassen, aber in ihrer Aktivität und Öffentlichkeitsarbeit tausendfach behindert. Brahim Rebiha, Mitglied der Politbüros, verortet seine Partei auf der gemäßigten Linken – wie im Übrigen Chebbis PDP auch. Der 70-jährige FDTL-Chef, Mustafa Ben Jaafar, wird in der neuen Koalitionsregierung Gesundheitsminister. Es ist sein Metier. Er ist von Beruf Radiologe.

Ebenfalls mit einem Minister wird die postkommunistische Ettajdid an der Regierung beteiligt sein, die im Parlament mit drei Abgeordneten vertreten ist. Ihr Chef, der 44-jährige Linguist Mohamed Brahim, wird Bildungsminister.

Zwei verbotene Parteien werden an der Regierung nicht beteiligt: die kommunistische POCT und die islamistische Ennahda. Einige hundert Demonstranten zogen am Montagnachmittag über die Avenue Habib Bourguiba, die Prachtallee im Zentrum von Tunis. Vielleicht waren es Anhänger dieser beiden verbotenen Parteien, vielleicht auch nicht. Fragen hierzu wichen sie aus. Jedenfalls forderten sie die Auflösung der RCD und skandierten Parolen wie: „Die Revolution geht weiter.“ Nach einer Stunde trieb sie die Polizei auseinander.

Ab und zu fielen am Montag noch Schüsse. Trotzdem schien endlich wieder Ruhe ins Land einzukehren. Nach all den aufregenden Tagen haben viele Leute Sehnsucht nach Normalität – Normalität, das heißt vor allem einkaufen, arbeiten, sich frei in der Stadt bewegen.

Auf einen Blick

Nach dem Sturz des tunesischen Machthabers Zine El Abidine BenAli überschlagen sich die Ereignisse: Premier Mohamed Ghannouchi gab am Montag die Bildung einer „Regierung der nationalen Einheit“ bekannt, der sechs Exponenten des bisherigen autoritären Regimes sowie Vertreter von drei kleinen Oppositionsparteien angehören.

Hauptaufgabe des Übergangskabinetts ist die Vorbereitung demokratischer Präsidenten- und Parlamentswahlen unter internationaler Kontrolle. Bei der Präsentation seiner 19-köpfigen Ministerliste kündigte Ghannouchi die Freilassung aller politischen Gefangenen an. Das verhasste Informationsministerium, das für Zensur zuständig war, wurde aufgelöst.

Goldraub. Unterdessen wurde bekannt, dass Ben Alis Frau Leila am Freitag kurz vor der Flucht noch 1,5Tonnen Gold von einer Bank abgeholt haben soll. Mit Barren im Wert von 45Millionen Euro stieg sie danach in ein Flugzeug. Derzeit logiert das Ehepaar in einem Palast in der Hafenstadt Jeddah in Saudi-Arabien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2011)

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