"Weg mit den Männern des alten Regimes"

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Drei Gewerkschafter traten wieder aus der neuen Regierung aus. Die Demos in Tunis gehen weiter. Immer wieder versammeln sich Grüppchen von Demonstranten, um gegen die Übergangsregierung zu protestieren.

Tunis. „Ich will hier weg“, flüstert mir der Polizist zu, der in voller Kampfmontur an einer Straßenecke der Avenue Bourgiba im Zentrum von Tunis steht. Um ihn ziehen Tränengasschwaden, während ein Mann im grauen Anzug, ein hoher Polizeioffizier, mit zunehmender Ungeduld seine Truppen zu dirigieren sucht. Seit den Morgenstunden versammeln sich immer wieder Grüppchen von Demonstranten, um gegen die Übergangsregierung zu protestieren.

„Weg mit den Männern des alten Regimes“, rufen sie und singen die Nationalhymne. Als der Chef den Knüppeleinsatz befiehlt, zögern manche Polizisten. Ein Offizier schreit sie an, ergreift einen Knüppel und geht mit schlagendem Beispiel voran.

Zwischen Chaos und Neuanfang

Chaotische Szenen in Tunis. Die Demonstranten ziehen sich immer wieder in Nebengassen zurück, um zwei Straßen weiter erneut aufzutauchen. Die Polizei, zu Beginn des Tages noch höflich zu ausländischen Reportern, wird immer patziger. „Nicht filmen“, ruft einer, als Polizeischlägertrupps in Schwarz auf Motorrädern in die Demonstranten fahren und die Knüppel niedersausen lassen. Das Bild passt nicht ins neue Tunesien.

Wobei sich inzwischen jeder fragt, wie das aussieht. Die Demonstranten finden, dass noch zu viele Vertreter des Ben-Ali-Regimes an der Macht säßen. Andere meinen, man müsse der Regierung eine Chance geben, da es nun wichtig sei, das politische Vakuum zu füllen, um Chaos zu vermeiden.

Die am Montag einberufene Übergangsregierung unter Präsident Fouad Mebazaa und Premier Mohammed al-Ghannouchi indes wackelt, Dienstag zogen sich vier designierte Minister, drei davon Gewerkschafter, zurück. Dann drohten zwei wichtige Oppositionsparteien mit ihrem Ausscheren aus der Koalition: Nämlich die „Ettajdid“ („Erneuerung“, das sind die früheren Kommunisten), sowie das „Demokratische Forum für Arbeit und Freiheiten“ (FDTL). Ihre Forderung: Alle Regierungsmitglieder, die der alten Präsidentenpartei „RCD“ angehören, müssen diese verlassen oder zurücktreten.

Und das geschah in der Nacht auf Mittwoch auch zumindest bezüglich der wichtigsten Personen: Präsident Mebazaa und Premier al-Ghannouchi gaben ihren Austritt aus der RCD (Rassemblement Constitutionnel Démocratique) bekannt, zudem sei der geflohene Präsident Ben Ali aus der Partei ausgeschlossen worden.

Aber das neue Tunesien wird nicht nur durch ein neues Kabinett geschaffen. Wenige hundert Meter von den Demonstranten in der Avenue Bourgiba entfernt ist die Redaktion der Zeitung „Al-Shourouk“ – kein staatliches Blatt, aber eines, das wie alle Blätter zu Zeiten Ben Alis den Diktator täglich feierten. Auf einem Schreibtisch liegen die Ausgaben der Vorwoche. Bis Freitag prangt auf jeder Titelseite das Bild Ben Alis, dann bekommen die Demonstranten den Platz auf Seite eins. „Stabschef General Raschid Amar weigert sich, aufs Volk schießen zu lassen, und erklärt die Ära Ben Ali für beendet“, lautet die Schlagzeile des aktuellen Tages.

Für die Journalisten ist es nicht einfach, sich in dieser Situation neu zu erfinden, gibt Chefredakteur Shukri al-Bahoumi zu. „Die Straße war viel schneller als wir Journalisten. Das Volk hat die Revolution geführt und wir saßen hinter unseren Schreibtischen und hinkten der Entwicklung hinterher.“ Umdenken sei schwer. „Jahrelang haben wir den Diktator hochleben lassen, und jetzt müssen wir von einem Tag auf den anderen unser Denken verändern, das zuvor damit beschäftigt war, sich selbst zu zensieren“, meint er. „Wir brauchen eine Therapie, um neu zu schreiben“, sagt er.

SI schließt Ben Alis Partei aus

Doch auch die Sozialistische Internationale (SI) hinkt hinterher. SI-Präsident Martin Schulz gab Dienstag in Straßburg den Ausschluss der RCD bekannt.

„Im neuen Tunesien haben wir völlig neue Spielräume, und wir müssen lernen sie auszunutzen“, meint die Redakteurin Fatima al-Karaei. „Wir lokalen Journalisten profitieren wie die ausländischen im Moment davon, dass es keine Regeln und keine Aufsichtsbehörden mehr gibt“, erklärt sie. Das Informationsministerium, das wie alle Ministerien gleichen Namens in der arabischen Welt eher ein „Informationsverhinderungsministerium“ war, hat sich am Montag aufgelöst. Das Gebäude liegt verwaist in der Innenstadt. Die Schilder wurden abgeschraubt.

Und wer kontrolliert jetzt das Staats-TV. Dort zu drehen und Interviews zu machen wurde uns verboten. Dafür, heißt es, braucht man jetzt die Genehmigung des Verteidigungsministeriums. Wie bei so vielem im Land hat auch im wichtigsten Medium Tunesiens die Armee die Kontrolle übernommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19. Jänner 2011)

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